Monat: Januar 2017

Rechtsordnung

Was ist ein Rechtsstaat? Ein Gemeinwesen, in dem mächtige Rechthaber sich so geschickt rechtfertigen, dass die Rechtschaffenheit in der politischen Macht links liegen gelassen wird. Was ist ein Rechtsstaat nicht? Ein Land, das sich vor den Rechten verbeugt, ja sich den Rechten beugt. Was sollte ein Rechtsstaat sein? Eine Nation, die sich dem Recht beugt und nicht das Recht beugt.

Schlichte Moral

Den wichtigsten Vorstellungen der Moral entsprechen nicht selten die schlichtesten Verhältnisse: Was ist das schlechte Gewissen anderes als die Folge eines allzu guten Gedächtnisses (und andersherum)?! Warum kommt das Glück oft parallel vor mit der Einfalt?! Wie könnte der gute Mensch besser verstanden werden, als dadurch, dass er eine freundliche Umschreibung darstellt für das Maß der Langeweile, das ihn umgibt?!

Körper-Controlling

Moderne Medizin: der Arzt wandelt sich zum diskreten Berater des menschlichen Organismus. Er fördert seine Entwicklung und unterstützt alle Abwehrkräfte wider Fehlformen; er optimiert die Kontroll- und Steuerungsfunktionen des Körpers oder lenkt vorsichtig die Selbstheilungsintelligenz der Zellen. Gesundheitsdesign überwiegt gegenüber dem fachlichen Handwerk einer Krankheitskorrektur, einer Reparatur von Ausfallserscheinungen. Zum Doktor geht nicht mehr der Patient, sondern jener, der es nicht werden will.

Luftikus

Bis auf den großen Gelehrten Jacob Burckhardt, der den Geist in den Tiefen und Untiefen des Menschlichen vermutete*, haben die meisten Denker diesem intellektuellen Vermögen meteorologische Metaphern zugeschrieben. Als Windhauch, Sturm, Atem, ja als flüchtig wie eine Böe wird er beschrieben, anders als der Verstand, der gründlich und gründend arbeitet, oder die Vernunft, die schließt und zusammenfügt. Kaum anders ließen sich Eigenschaften benennen, die den Geist sonderlich auszeichnen: seine Kraft zu klären; die Bewegung, die Neues entstehen lässt; der Widerstand, gegen den man anrennen muss, wenn man nicht seine Richtung eingeschlagen hat; das Überraschende, Plötzliche, Einnehmende, Unberechenbare. Was sich fassen lässt, ist schon deswegen nicht geistreich.

* „Der Geist ist ein Wühler und arbeitet weiter.“ Weltgeschichtliche Betrachtungen, 8

Dialogfetzen

Sie: Wie nennt man eigentlich jenen Augenblick, in dem alle Fragen schweigen?
Er: Sowas kennst du?
Sie: Was soll diese Anspielung? Also, sag schon: gibt es einen Namen für den Moment, in dem sich jeder Zweifel erübrigt?
Er: Vielleicht – Geborgenheit.
Sie: Hm.
Er: Warum sagst du nichts?

Woher, wohin, warum?

Die Grundregel, auch in späteren Jahren noch kregel und alert zu sein: dem Problem, wohin wir gehen, stets ein größeres Interesse beizumessen als der Antwort auf die Frage, woher wir kommen. Lebendigkeit bedeutet, den Zweck vor den Sinn zu setzen.

Übergangsweise

In Übergangsphasen sind Endpunkt und Anfangssituation begünstigte Augenblicke. Die schwierigen Momente setzen ein, wenn das Glück nachlässt, den Wandel geschafft zu haben und der Alltag regelmäßig fordert, sich neue Routinen zu schaffen. Auch im neuen Jahr folgt der Ernüchterungskater nicht gleich, sondern begleitet erst die Tage, die nach den lichten Festzeiten beginnen.

Aufs Leben!

„Das Meer hat etwas Unerklärtes“, sagt der Philosoph unter den Inselfreunden unvermittelt. Doch bevor die Umstehenden darüber rätseln, was der Satz bedeuten könne, erläutert er: Immerhin stammt aus dem Wasser das Leben. „Dann lässt sich das Leben also nicht letztlich verstehen“, wirft einer in die Runde. Der Philosoph schaut ihn streng an: „Was sich nicht erklärt, erwartet kein Verständnis, sondern Respekt.“