Monat: Oktober 2017

Mitte und Maß

Denken wir uns das Mittelmaß als die Erfindung einer Gesellschaft, die ihrer selbstzerstörerischen Gewaltexzesse überdrüssig geworden ist und jedesmal an den Folgen irgendeiner Vereinseitigung, einer Verabsolutierung, eines sturen Festhaltens von Überzeugungen zugrunde zu gehen drohte. Der Kompromiss ist die kommunikative Variante des Mittelmaßes.

Was wir Platon verdanken

Nichts ist für die Weisheit eine größere Versuchung als die, mächtig zu sein. Und in nichts zeigt sich ihre Überlegenheit deutlicher als darin, diesem Reiz nicht zu erliegen. Macht und Weisheit vertragen sich nicht; eine verliert immer. Platons utopische Figur des Philosophenkönigs wäre wirklich mächtig gewesen in dem Moment, in dem sie der eigenen Weisheit verziehen hätte, dass sie sich an der Herrschaft nicht beteiligt.

Die Tiefen der Oberfläche, das Oberflächliche der Tiefe

Eine der wichtigsten Unterscheidungen, die wir im Leben lernen, ist die zwischen Innen und Außen. Sie bestimmt, was wir am Ende als unsere Identät ausgeben, was zu uns gehören soll oder fremd bleiben. Schmerzhaft erfahren wird sie zunächst an uns selbst, von dem lichten Moment an, da wir erkennen, dass alles, was an uns Erscheinung ist, am schnellsten zu vergehen scheint: Kraft, Körperspannung, Schönheit. An der raschen und merklichen Veränderung des eigenen Äußeren erkennen wir in der Regel zuerst, was es bedeutet, nichts festhalten zu können. So dass wir ins Innerste zu retten versuchen, dem wir heimlich Unsterblichkeit wünschen. Nicht zuletzt soll die Seele ja dort beheimatet sein, die Hoffnung ohnehin, die zuletzt stirbt, die unantastbare Personenwürde und die kaum beschreibbare Persönlichkeit. Was wir Tiefe nennen, ist wohl nichts als eine Flucht vor der unerbittlichen Gewalt der Zeit.

Natürlich

„Natur“ heißt, was auffällig wird, sobald es wider oder über uns steht: als Elementargewalt eines Sturms, zerstörerische Wucht eines Erdbebens, brachiale Flutkatastrophe, als erhabenes Lichtschauspiel am Nachthimmel, als überreiche Farbenpracht eines Tierfells, als unermessliche Weite eines Flusstales. „Natürlich“ meint, worüber zu reden nicht lohnt.

Der gute Hirte

Als die Schafe ausgebrochen und auf die Straße gelaufen waren, versuchte der Neuankömmling im Dorf die Tiere vergeblich wieder einzufangen. Sie waren wendiger, schneller als er, spielten mit seiner Entschlossenheit. Der Nachbarbauer beobachtete die Szene eine Weile amüsiert. Dann kam er mit einem leeren Eimer. „Du musst einfach an den Eimer klopfen, dann folgen sie dir, weil sie denken, es gebe Schrot zu fressen.“ „Echt?“ fragte der Zugezogene ungläubig. „Probier‘s aus.“ Es klappte. Kaum dass er gegen die Kunststoffwand des Behältnisses schlug, drehte das Vieh sich um und folgte der falschen Verheißung auf Futter. Am Abend brachte der Städter den Eimer zurück. „Was machst du eigentlich?“ wollte der Landwirt von dem noch unbekannten Hofbesitzer zum Abschied wissen. „Ach, irgendwie klopfe ich in meinem Beruf den ganzen Tag auch gegen einen leeren Eimer, und das Seltsame ist, dass die Leute mir folgen.“ Der Bauer zuckte mit den Achseln. Da löste der Fremdling die ungeklärte Frage kurz auf: „Ich bin Managerberater“, sagte er.

Der klügste Rat

Der beste Rat ist einer, worauf ein anderer fast von allein gekommen wäre, so dass er ihn sich selber hätte geben können; zum Glück aber die Einsicht nicht gefunden hat, weil er sonst auf sie nicht gehört hätte.

Dem Wahren, Schönen, Guten

In der Rangfolge der Vorschriften steht die Logik mit ihren Denkgesetzen an oberster Stelle. So lang nicht entscheidbar ist, was wahr genannt zu werden verdient, suchen Regeln der Ethik und Empfehlungen der Ästhetik vergeblich nach verbindlicher Anerkennung. Bei den Vergehen indes ist es umgekehrt. Schlechter Geschmack wirkt unmittelbar auf die Empfindlichkeit und berührt uns intensiver, als es der gedankliche Irrtum oder das falsche Handeln je könnten.