Monat: Februar 2018

Schmerzende Herzen

Aus der Serie „Dialoge, wie sie nicht besser hätten erfunden werden können“

„Ich schicke dir mein Herz“, flüsterte er in sein Smartphone, das er dicht ans Ohr gepresst hielt. Die Stimme am anderen Ende der Leitung zögerte einen Moment, war dann allerdings so bestimmt, dass es die Umstehenden verzerrt durch die Gehäuseresonanz des Geräts hören konnten. Zu acht warteten sie auf die Einfahrt des verspäteten Zugs in den nächsten Bahnhof, alle im Vorraum vor der ersten Wagentür sprungbereit, den Anschluss gerade noch über einen Sprint durch die Halle zu erreichen. „Du hast doch gar keines mehr, mein Schatz, ist alles schon bei mir; und selbst wenn du noch eines hättest, wärest du es jetzt los. Herzlos säßest du in deinem Abteil.“ Sie lachte kurz auf, von der eigenen Komik gekitzelt. „Du weißt doch, wie ich es meine.“ Erste Anzeichen einer versteckten Verstimmung waren in seiner Stimme zu vernehmen. „Mit DHL oder Hermes?“ rief sie in den Anflug seiner Verstörung. „Haha“, kommentierte er diesen Versuch eines Scherzes, schon schlechter gelaunt. Aber sie ließ sich offenkundig nicht beirren: „Dann könnte ich die Sendung ja verfolgen übers Internet und mich fragen, ob das Haltbarkeitsdatum deiner Liebe die Zustellung überdauert. Bei einer so wertvollen Fracht würde ich übrigens eine Eilsendung mit Rückschein aufgeben. Auslieferung spätestens binnen vierundzwanzig Stunden.“ Die Atmosphäre kippte. Er schwieg. Sie ließ nicht locker. „Was hast du plötzlich? Sei doch nicht gleich eingeschnappt. Das würde ich erst verstehen, wenn ich die Annahme deines Wertpakets verweigert hätte. So aber … Ist doch echt komisch: von Typen wie dir bekomme ich Tag für Tag das Herz geschenkt; und du wirst alles andere als herzlos. Und den Herzlosen würde man es gern dankend zurückgeben; die aber können damit gar nichts anfangen.“ „Hast ja recht“, murmelte er noch in den quietschenden Zug hinein, der am Bahnsteig hielt. „Die Sprache hat sich an dem Symbol ,Herz‘ verhoben. Und vielleicht wir uns an dem Phänomen.“ Sprach’s, legte auf und stieg aus.

Professionelle Autisten

Ein schlichtes, dennoch wirksames Mittel der Qualitätssicherung ist die Fähigkeit, sich in einen anderen – den Kunden, den Zuhörer, den Patienten – zu versetzen. Ohne dieses empathische Talent ist es nicht denkbar, höhere Ansprüche zu setzen und zu halten. Die Frage, wie es dem Anbieter selber erginge mit dem, was er leistet, produziert, offeriert, entscheidet über das Niveau der Sache. Der Arzt, der durch sich nicht behandelt werden wollte, der Journalist, der seine eigene Sendung zu sehen verschmähte, der Banker, der nie auch nur einen seiner Fonds kaufte, sie alle sind keine seltenen Erscheinungen. Es ist mehr als etymologische Romantik, im alten Wort „Beruf“ oder der Profession jenen Anruf und jenes Bekenntnis zu vernehmen, dem einer aus Überzeugung gefolgt ist. Der Satz: „Ich tue nur meinen Job“ ist kein Ausdruck verborgener Pflicht, sondern das Leitmotiv der professionellen Autisten.

Wo wohnt die Freiheit?

Wenn Freiheit in der Sprache einen Ort hat – und sie sollte dort auch zu Hause sein –, dann lebt sie in der Metapher. Dieses Stilmittel, das dauernd changiert zwischen der Bestimmtheit eines Ausdrucks und der Unbestimmtheit seiner Bedeutungen, bildet ab, ja stellt dar, woraus Freiheit ihre Kraft zieht: aus der Gewissheit, dass bei noch so großer Festlegung immer noch größere Gelegenheiten erwachsen und bei noch so bedrängender Unklarkeit eine immer noch stärkere Entschiedenheit möglich ist.

Fix, und fertig

Vielleicht ist Ungerechtigkeit nichts als ein allzu schnelles Urteil, das wir über andere fällen.