Einkaufsmeilen

“Ich gehe bummeln“, hieß es früher beim Aufbruch zum Stadtbesuch, einem ganz und gar nicht absichtslosen, indes zeitintensiven Schlendern durch die Einkaufspassagen im Zentrum. Der moderne Flaneur wusste, welche Geschäfte er nach neuen Auslagen durchstöbern wollte. Heute hingegen hetzt er schlecht gelaunt durch die Massen, die sich unterschiedslos durch die City schieben. Die Läden, die vordem noch mit ihren Waren lockten, sind nicht mehr da. Überhohe Mieten und der Durchschnittsgeschmack haben sie vertrieben; eine Fußgängerpassage gleicht der anderen. Die Stadt hat kein Gesicht mehr, weil die „Straßen ohne Erinnerung“* sind, das Angebot seinen Charakter verloren hat. Da wundern sich die Stadtoberen, dass die Konsummeilen nachts verwaisen. Das ist doch ein untrügliches Kennzeichen, dass ein Kaufhaus Leben hat: dass die Menschen kommen, wenn die Türen schon geschlossen sind und sich die Nasen an den Schaufenstern plattdrücken, erfüllt von den schönsten Dekorationen, die ihre Phantasie am Laufen halten und Träume in spätere Erwerbsentscheidungen ummünzen. Der Erfolg eines Ladens gründet in der Zeit, in der er geschlossen ist und sich unaufgeregt zeigen kann, warum er besonders ist.

Siegfried Kracauer, Schriften Bd. 5.3, 170