Frühwarnsystem

Die Sprache ist ein Frühwarnsystem, das in dem Maße verlässlich anschlägt, wie sie aus einem überreichen Wortschatz sich bedienen kann und ihre Beschreibungsqualität ausreicht anzuzeigen, was noch auf sich warten lässt. Wären unsere Ahnungen alle artikulationsfähig, wir könnten uns im Leben eine Menge Ärger ersparen. Doch wie oft bleibt es bei einem stummen, gleichwohl sicheren Vorgefühl. Ob der Freund zum Lebenspartner taugt? Ob eine angefangene Arbeit nicht schon im Ansatz zum Scheitern verurteilt ist? Ob die Geschäftspläne erfolgreich sein werden? Ob eine Mannschaftsaufstellung zum Sieg gereicht? Die eigene Empfindsamkeit will darüber rechtzeitig, ja in einem Frühstadium schon zureichend gewiss Auskunft geben; nur die Sprache vermag dieser inneren Stimme nicht durch eine äußere zu entsprechen. Sie hat keine Begriffe, stottert, tappt durch die Gedankenwelt wie einer, der sich im Finsteren vortastet. Und selbst wenn sie dann zum Wort gefunden hat, reicht oft nicht aus, was sie sagt, um sich selbst oder andere zu überzeugen. Nicht selten meldet sie sich erst, wenn das Misslingen allzu augenscheinlich geworden ist, wenn die Niederlage unabwendbar geworden ist, das Scheitern nicht mehr aufgehalten werden kann, wenn Belege vorhanden sind und Beweise zu führen fast müßig geworden ist – zu spät. Sich im Reden zu üben, um sich im Denken zu orientieren, dient nicht zuletzt der vorgezogenen Vermeidung von Lebensunbill. Alles, was sich so präzise bezeichnen lässt, dass es anschaulich wird, ohne dass es schon eingetreten sein muss, lässt sich im vorhinein bestens bestimmen. Als Frühwarnsystem funktioniert die Sprache, weil sie über Vorstellungs- und Urteilskraft verfügt.