Jahre, ins Land gegangen

Eine der wichtigsten Enttäuschungen fortgeschrittener Jahre ist die Entdeckung, dass der Jungbrunnen nicht allzu tief ist. Dennoch hält er für jede Daseinsphase unterschiedliche Altersformen diskret bereit. Dass der gut Sechzigjährige sich zuweilen mit einem verwechselt, der gerade mal vierzig geworden ist, ist nur unfreiwillig komisch, wenn es über das Gesichtsfaltenmuster, schlaffes Bindegewebe oder die rasche Atemnot eklatant öffentlich wird. Viel interessanter ist die Erfahrung, wie viele Lebensgefühle sich dem Menschen bieten, je reifer er geworden ist: Nuancen des Erlebens, die wechseln zwischen kindlicher Freude und überlegener Gelassenheit, dem Hunger nach Steigerung, der Abkehr von ermüdenden Konflikten, dem lustvollen Spiel mit der Sinnfreiheit wie der angestrengten Sinnsuche. Es gilt das Gesetz: alt zu sein bedeutet, auf unterschiedlichste Art alt sein zu können. Das lehren erst die Jahre, die ins Land gegangen sind.