Verquerdenker

Ein Charakterbild
Ohnehin hat er das Denken neu erfunden. Der Verquerdenker hält sich nicht an vieltausendjährige Regeln der Logik. Die Zeiten haben sich geändert, und mit ihnen alles, was bisher galt, auch in den Köpfen. Als Vordenker tritt er gern auf, für einen Freidenker hält er sich, fürs Querdenken wird er engagiert. Nur denken, das reicht nicht mehr. Die Zeiten haben sich ja radikal … aber das hat er schon gesagt. Kausalität? Vergessen Sie es. Linearität? Zu schlicht. „Ein Jüngling liebt ein Mädchen …“ Zu naiv. Die Sache ist doch unordentlich verflochten: „ … Die hat einen Andern erwählt. Der Andre liebt eine Andre und hat sich mit dieser vermählt …“ Komplexität! Das ist es. Heine hat es gewusst. Wenn der Verquerdenker Gründe liefern soll, rechtfertigt er sich. Was er für eine Argumentation hält, ist bloß eine Assoziation. Komplexität, sein Leib- und Magenwort, die Lieblingsspeise seines Redens, hält er für eine Art Freibrief, munter drauflos zu faseln. Da gerät vieles durcheinander. Anfang und Ende, Ursache und Wirkung, Grund und Folge, Punkt und Komma, analog und digital (noch so ein Herzensthema des Verquerdenkers), vor allem: und, und, und. Das „Und“ ersetzt ihm alle differenzierten Formen der Verknüpfung; es fügt sich über das „Und“ so hübsch eines mit dem anderen. Zuletzt  hat es sich so tief eingenistet im Denken des Zuhörers, dass er sich achselzuckend abwendet, nicht einmal im Gefühl, etwas Untunliches getan zu haben: Na, und …