Wenn die Quelle sprudelt

Nichts ist die Coolness einer Gesellschaft weniger bereit zu verzeihen als Unmittelbarkeit, als ein ehrliches Wort aus den Tiefen und Untiefen der Seele. Da trifft das Unverschämte auf die Scham eines, der sich für einen unbedachten Moment offenbart hat und unvorsichtig genug gewesen ist, von sich aufrichtig zu erzählen. Die Schamlosigkeit trumpft auf, indem sie den Verschämten ins Unrecht setzt, obwohl er doch nichts Schlimmeres angestellt hat, als das Richtige zu sagen. George Steiner, der Vorkämpfer aller Sprachschöpferischen, hat die Augenblicke einer „Offenheit höchsten Grades“ in ihrer Ambivalenz beschrieben: „Wer zu erzählen versucht, was in ihm vorgeht, … riskiert, sich der ganzen Skala von Wirrniss und Peinlichkeit auszusetzen.“*

George Steiner, Von realer Gegenwart, 235