Monat: Juli 2017

Fastenkur

Der Erfolg aller diätetischen Einrichtungen wie Fastenkuren, Entschlackungs- und Entwöhnungsprogrammen, Auszeiten mit digitaler Abstinenz beruht auf einer einfachen Regel, dem Gesetz misslungener Selbstüberwindung. Man sucht dienstbare Begleiter für die harten Tage, an denen allein zu sein zum Scheitern führte: Bevor einer zum Masochisten wird, lässt er lieber andere den Sadisten spielen.

Jenseits des Gewohnten

Bildung, wenn sie denn sichtbar wird jenseits von Wissensfülle und historischem Bewusstsein, ist vor allem das Talent, nichts bloß wörtlich nehmen zu müssen. Zwischen buchstäblicher Lesart und Bedeutungslosigkeit legt sie unterschiedliche Sinnschichten frei. Ihr Hauptwort heißt „noch“: Was lässt sich über eine Sache noch sagen? Wie kann ein Ereignis noch betrachtet werden? Was darf ich von einem Menschen noch erwarten?

Erkennungsmerkmal

Einen Stil zu haben meint, zur Maskerade unfähig zu sein: Ob im Schreiben, an der Mode, ja selbst bei Körperbewegungen helfen Decknamen oder Verkleidungen nicht. Die individuelle Handschrift lässt sich trotz Camouflage jederzeit erkennen.

Treffpunkt

„So klein ist die Welt“, sagt er, weil ihm die Worte fehlen angesichts der überraschenden Begegnung am fremden Ort. „So großzügig ist die Welt“, erwidert sie, „dass sie uns einen solch unverhofften Augenblick schenkt.“

Sich mit der Zukunft aussöhnen

Vorfreude: die sanfte Art der Enthemmung. Es gibt keine schönere Art, Angst zu überwinden.

Ach, Achtsamkeit

Die Management-Mode „Achtsamkeit“ verhält sich wie eine Religion, die ihr Geheimnis verloren hat: Sie wird zur Mystik ohne Mysterium.

Beziehungsstatus

Aus dem noch ungeschriebenen Roman:
Wie zwiefältig, wortbrüchig, einladend unentschlossen der Wille ist, der die langjährige Liebesbeziehung – soll man sagen? – trägt, verrät die Fülle an Ausreden, die sie wählt, um sich den verführerischen Avancen eines neuen Werbers zu entziehen. „Ich bin in festen Händen“, beteuert sie verlegen, in der Hoffnung, er würde sich darob erschrecken und sich enttäuscht zurückziehen. Und hat mit dieser traditionellen Wendung alles offengelassen: in festen Händen, freiwillig oder gefangen, mit Bewegungsspielraum oder so zupackend, dass sie kaum Luft zum Atmen hat? Die Weite möglicher Auslegungen, provoziert durch den falschen Schein von strikter Eindeutigkeit, erfährt eine Dehnung ins Unbestimmte, wenn auf die Frage nach einer Verabredung beschieden wird, das sei wohl, „glaube ich“, keine gute Idee. Höflich delegiert sie die Verantwortung für ihre Weigerung; sie kann ja nichts dafür, wenn er so schlechte Vorschläge macht oder der andere Vertraute sie nicht aus seinen Fingern lässt, auch wenn sie ihn vielleicht für einen Moment des zaubrischen Hin und Her aus dem Sinn verlöre. Sie will, wie schön, den wie aus dem Nichts einer frischen Schöpfung aufgetauchten Anwärter nicht auch noch vor den Kopf stoßen, wo sie ihm doch schon sein Herz durchbohrt hat.