Monat: November 2017

Offene Taschen

Die Romantik der Großzügigen verdichtet sich in der Überzeugung, sie könnten mit ihrer lustvollen Freigebigkeit andere ermuntern, das Herz auch weit zu öffnen. Konfrontiert mit Krämerseelen und Kümmelspaltern ist die Realität dieser Spendablen vor allem aber ein zäher Kampf wider die Enttäuschung, dass die Freude am generösen Geben selten infektiös ist.

Macht ernst, Machtspieler

Moralische Bestimmung der Macht: Sie ist nichts als Verantwortung für den anderen.

Staatskunst

Man kann die Qualität einer Politik an einem einfachen Maßstab festmachen, der Frage: Inwieweit gelingt es ihr, die Menschen einer Gesellschaft von allen Bedingungen des Überlebens so zu entlasten, dass diese sich die Bedingungen ihres Lebens selber wählen können?

Entweder, oder

Wenn es eine Grundalternative im Leben gibt, lautet sie wohl: Liebe oder Angst. Aus ihr ließen sich viele Fehlformen und Verirrungen des Daseins ableiten – die sich entweder aus Angst vor der Liebe ergeben, vom hartnäckigen Bindungsunwillen bis zur innig gepflegten Feindschaft; oder eine heimlich faszinierte Liebe zur Angst darstellen, als die sich nicht zuletzt etliche unserer kleinen und großen Neurosen verstehen lassen.

Großmannssucht

Allmachtsphantasien sind immer Ohnmachtsphantasien.

Selbstporträt

Der Unterschied zwischen einem fotografischen Porträt und einem Selfie reicht jenseits der Technik des Augenblicks tief in die Mythologie und Psychologie: Als der Selbstverliebte – so die Erzählung – von seinem Spiegelbild angezogen wurde, hatte er mit einem Mal vergessen, wie sehr der Fremde nötig ist, sich zu erkennen. Narzissmus ist das Missverständnis der Unmittelbarkeit, der Irrglaube, es könne ohne Umschweife der Weg zu sich gefunden werden; das Selfie beruht auf dem Trugschluss, die Einsicht ins eigene Ich könne optisch erzwungen werden, wenn das organische Sehen keine Selbstanschauung ermöglicht.