Tag: 11. August 2018

Bahnchaos

Im überfüllten Zug findet der Passagier keinen Sitzplatz. Die Gänge sind vollgestellt mit Koffern, Taschen, Beuteln; es ist kein Vorankommen. Nur zwischen den Wagons, an der Tür, wo die Luft zum Schneiden stickig ist, kann er stehen. Dennoch kämpft sich der Zugbegleiter stur durch das abendliche Reisechaos und kontrolliert die Tickets. Als der Passagier auf sein Verlangen hin die Dauerkarte zückt, das All-inclusive-Paket, nickt er kurz und wünscht routiniert – eine schöne Weiterfahrt. Der Passagier schnappt nach Luft: „Wie können Sie ernsthaft so etwas wünschen; schauen Sie sich doch um. Was ist daran schön? Und von Weiterfahrt zu sprechen ist auch kühn, wenn der Zug auf offener Strecke hält.“ „Glauben Sie, mir macht das Spaß?“ raunzt der Schaffner zurück. „Sie haben ja recht, nichts ist schön bei der Bahn. Und den Humor habe ich längst auch verloren. Früher habe ich meine Fahrgäste versucht, durch die Ansagen aufzuheitern. Als dann einer mal fast gewalttätig wurde, weil er meinen Witz nicht verstanden hat, habe ich es sein gelassen.“ „Aber Ihr Gruß – schöne Fahrt – ist doch zynisch“, entgegnet der Passagier. „Wenn man ihn ernstnimmt, dann stimmt das, was Sie sagen“, verteidigt sich der Kontrolleur. „Aber wer nimmt uns schon noch ernst; außer Ihnen? Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen von Belästigungen, hartnäckigen Schwarzfahrern, Gruppen, die ein Abteil als Müllhalde hinterlassen. Was meinen Sie, wie sehr ich darum kämpfe, nicht zynisch zu werden in meinem Beruf. Da verstecke ich mich lieber hinter Floskeln.“ Dem Reisenden tut der Bahnangestellte fast leid. „Na, dann – eine schöne Weiterfahrt“, wünscht er.