Monat: Dezember 2018

Eigentlich

In der Radikalität der eigenen Ansprüche ans Leben steckt nicht nur der unduldsame Ansporn, sich selbst wiederholt zu übertreffen, sondern auch das Risiko einer dauerhaften Lähmung. Was uns treibt, muss gerade noch erreichbar sein. Die Sprache hat auf die Gefahr der Vergeblichkeit reagiert, indem sie Gnadenwörter erfand wie „eigentlich“, die sich in der Regel mit der barmherzigsten unter den grammatikalischen Formen verbünden: dem Konjunktiv.

Der richtige Augenblick

Timing ist in der Zeit, was in der Sprache das Glück des zutreffenden Worts bedeutet. Einen fugenlos passenden Ausdruck gefunden zu haben, den richtigen Moment zu erwischen, um das Aktienportfolio durch Verkäufe umzugestalten, den Flugball perfekt aufzunehmen mit einem präzisen Pass über das halbe Spielfeld, das alles sind Erlebnisse, die weitgehend vom Gespür für das innere Maß der Sache beeinflusst sind und diese vollkommen zur Erscheinung bringen. So muss es selbstverständlich sein, ist die implizite Botschaft des gelungenen Augenblicks. Er berauscht jene, die den Zeitpunkt genau finden. Aber er ist nicht, was im Testament mit der adventlichen Formel beschrieben ist: „Als aber die Zeit erfüllt war …“ (Gal. 4,4) Und was die Griechen den Kairos nannten. Da trifft die Zeit selbst auf mehr, als sie selbst ist.

Freiheitsrechte

Es tut der Freiheit nicht gut, wenn sie idealisiert wird. Das bläht sie auf zu einer abstrakten Vorstellung von Unabhängigkeit. Die Anerkennung der Freiheit ist eine Respektsform des Rechts vor dem individuellen Leben.

Opa erzählt vom Krieg

Wie alt einer ist, lässt sich messen am Vorrat der Geschichten, die er im Lauf seines Lebens gesammelt hat. Wie jung er geblieben ist, lässt sich erkennen an den Erlebnissen, die er zum Besten gibt.

Seelisches Gleichgewicht

Der Grat, auf dem ein Therapeut professionell läuft, ist schmal: so einfühlsam zu sein, dass er den Problemen seines Klienten nachspüren kann; so distanziert zu sein, dass er sich vor den Problemen seines Klienten schützen kann.

Ästhetische Theorie

Wirklich schön ist, was mehr sein kann, als schön zu sein.

Der richtige Zeitpunkt

Eine Gesellschaft, in der das Gespür für den richtigen Augenblick verloren gegangen ist, zerstört sich selbst. Nicht eine Begegnung wäre möglich zwischen den Menschen, nicht ein einziges Gespräch entstünde, nicht eine Liebesgeschichte könnte beginnen. Alle Sozialität hängt nicht zuletzt am Timing. Wenn Beziehungen zerbrechen, dann meist, weil den Beteiligten das Gefühl für Synchronität abhanden gekommen ist.