Tag: 10. Januar 2019

Wer wollen wir sein?

Die Erweiterung der ethischen Frage von „Was soll ich tun?“ zu „Wer will ich sein?“ folgt jener Dehnung von Handlungsdimensionen, die es Maschinen immer stärker erlaubt, autonom einzugreifen in das, was wir als unsere ureigenen Entscheidungsfälle kennengelernt haben. Die Simulation eines Gesprächs, die nur funktioniert, weil der beteiligte Mensch nicht mehr merkt, dass er mit einem Apparat redet; die Auswahl des Wegs durch künstliche Intelligenz in einem Dilemma, das keine andere Wahl lässt, als Menschen zu schädigen; die aufkeimende Liebe des gebrechlichen Alten zu einem Betreuungsroboter – sie fordern weniger Kriterien, nach denen Aktionen moralisch zu beurteilen sind, als eine Selbstverständigung auf das, was menschlich genannt zu werden verdient. Spätestens wenn die Unterscheidung zwischen einem Original und seiner (digitalen) Kopie wahrnehmbar nicht mehr möglich ist und damit auch die Differenzierung von Wahrheit und Lüge, Faktum und Fake, Wirklichkeit und virtueller Realität ausfällt, steht Elementares auf dem Spiel: Ein Mensch, der seine Welt verliert, weil er sich einen widerstandsfreien Weltersatz geschaffen hat, gibt sich selbst auf. Was das über uns sagt? Wir können nur dann eigen sein, wenn wir auf Fremdes angewiesen sind, wenn die Welt uns nervt, Schmerzen bereitet, unbekannt erscheint, hartnäckig ist, Einhalt gebietet, wenn wir sie nicht beherrschen, weil sie uns jederzeit unberechenbar überraschen kann. Und wenn sie in all dem zuverlässig bleibt.