Monat: Januar 2019

Lieben, lernen

Jede Liebesgeschichte ist auch eine Bildungsgeschichte. Mit den Menschen, die so ins eigene Leben getreten sind, dass sie dessen Teil wurden, lernen wir Vorlieben kennen, einen neuen Musikgeschmack, ungewohnte immobiliare Einrichtungsformen, thematische Interessen und den Reichtum seines Sprachschatzes, überraschende Küchenrezepte oder Rezepturen, mit Unversöhntem umzugehen, Bewegungen zur Lustempfindung und die Lust, sich in Bewegung zu setzen, um fremde Reiseziele zu entdecken. Da spielt sich mit der Zeit ein, was zwei Liebende einander anfangs beglückend zugespielt haben. Und so manches überdauert das Ende der Beziehung, nicht nur als Erinnerung. Das alles ist so intensiv, dass immer schon behauptet wurde, nicht selten zum großen Schaden mindestens eines der Beteiligten, dass jede Bildungsgeschichte auch eine Liebesgeschichte ist. Logisch ist das nicht.

Gedankenlos

Der Egoist in Aktion: viel geschieht gedankenlos, aber nichts ohne Hintergedanken.

Nichts zu tun

So mancher Mensch, der mit dem großen Gestus der Selbstzufriedenheit sagt, er müsse in seinem Leben nicht mehr arbeiten und könne endlich tun und lassen, was er will, zeigt sich kleinlaut, wenn man ihn fragt, was er denn lassen wolle, um zu tun, was ihn zufrieden macht.

Posen und Posten

Im Infinitypool vor spektakulärer Bergkulisse baden fünf Nixen. Jede dieser frisch frisierten Frauen ist mit dem spritzgeschützten Smartphone ins Wasser gestiegen. Sie posieren. Eine nach der anderen stellt sich in den Winkel des Außenbeckens, dort wo das Sonnenlicht auf dem Gesicht sich perfekt mit den schneebedeckten Gipfeln vereint zu einem Bild von ausgesuchter Auffälligkeit. Gelegentlich wird die Flasche eines Kosmetikprodukts in die Kamera gehalten; andere Fotos fangen nur die wohlinszenierten Körper ein. Models bei der Arbeit? Es stört sie nicht, dass sie stören. Die anderen Gäste des Spas haben weniger Spaß und verziehen sich diskret in den Ruheraum. So geht das mehr als eine Stunde. Influencer? Nein, es sind schlicht Mädchen, die früh gelernt haben, das Verhalten der Postergirls zu imitieren, ihren Heldinnen nachzueifern in den Social Media-Portalen. Ihnen liegt nichts daran, das Solebad zu genießen, sondern sie spielen den Genuss nur; sie sind nicht da, auch wenn ob der ins Netz gestellten Fotos viele Zeuge davon werden, dass sie dagewesen sind. Der aktuelle Dreiklang des Erlebens lautet: Posen, posten und, nicht zuletzt, postulieren, dass möglichst eine Masse davon Kenntnis bekommt.

Wohin gehört das Warum?

Ist es bloß eine Frage der Lebenseinstellung, ob wir eher geneigt sind, Gründe einzufordern für ein „Nein“, also die Verweigerung eines kommunikativen Angebots, oder als Stütze eines „Ja“, dessen Zustimmung zunächst Verwunderung auslöst? Die Grundfrage, die einmal lange Zeit das Denken in seine Untiefen zwang – warum ist etwas und nicht vielmehr nichts? – spekulierte mit der Unwahrscheinlichkeit der Welt. Die Position galt als das, was ohne Rechtfertigung keine selbstverständliche Anerkennung in Anspruch nehmen konnte. Für alles, was ist, musste es eine erschöpfende Auskunft, mindestens eine plausible Ursache geben. Der Normalfall war die Nichtexistenz; was der Fall ist, bedurfte einer Legitimation. Nichts hat sich geändert seither. Nur dass sich die Unbedürftigkeit, eine Antwort zu schulden für das „Nein“, auf das Alltagshandeln erstreckt bis hin zur Ignoranz: Man lässt die Erwiderung einfach offen, wenn man eine Sache ablehnt. Wo ein Nein keines Grundes bedarf, genügt im Grunde nichts als die Enttäuschung einer möglichen Erwartung. Man sagt: Nicht, indem man nichts sagt. Und hört im nachfragenden „Warum nicht?“ nur noch die stillschweigende Bestätigung: Warum nicht?!

Das innere Licht

Der berühmteste unter den Sehern dieser Welt, Teiresias, der als Zukunftsforscher die antike Tragödienwelt entscheidend lenkte, war blind. Doch nicht allein, um literarisch zu unterstreichen, dass beim Blick in das Schicksal eine scharf gestellte Optik geradezu störte und alles auf die Helle des inneren Lichtes ankommt, sondern um als Maßstab überhaupt nicht gelten zu lassen, was sich einem wirklichkeitsverwöhnten Auge erschließt. Die „Wahrheiten“ all der frühen Lebenslosdeuter wie auch der modernen Prognostiker, die zu Anfang eines Jahrs Hochsaison haben, lassen sich gar nicht messen am Grad ihrer Faktizität, also der Präzision, mit der sie sich „erfüllen“, mit der sie in den Gang der Dinge eintreten. Sondern diese „Prophezeiungen“ sind „wahr“ in einem konstruktiven Sinn: im Maße ihrer Kraft, in dem sie Einfluss nehmen auf den Willen, das Faktische zu ändern.

Ein Stück weit

Was sich über unsere Anfänge sagen lässt: Wir sind immer schon ein Stück weiter.