Tag: 1. März 2019

Überfluss und Überdruss

In einer Welt, deren Informationsüberfluss längst mit einem Informationsüberdruss beantwortet wird, weil sie zudringlich geworden ist durch den frei offerierten Zugang übers Netz, verändert sich auch die Bedeutung von Erfahrung. Das hat weniger zu tun mit wachsender Ignoranz gegenüber jenen, die aus ihrem Fundus noch voll schöpfen könnten. Sondern vor allem mit dem Schwund an Anstrengung, ein Ziel zu erreichen, Wege zu finden, Hindernisse zu überwinden, Umleitungen in Kauf zu nehmen. Erfahrung ist das, was sich ausbildet, wenn man erlebt, was sonst noch möglich wäre, weil die direkten Zugriffe verschlossen sind. Das kommt immer seltener vor. Schon Walter Benjamin schrieb in einem Aufsatz im Jahr 1933: „Erfahrungsarmut: das muß man nicht so verstehen, als ob die Menschen sich nach neuer Erfahrung sehnten. Nein, sie sehnen sich von Erfahrungen freizukommen, sie sehnen sich nach einer Umwelt, in der sie ihre Armut, die äußere und schließlich auch die innere, so rein und deutlich zur Geltung bringen können, daß etwas Anständiges dabei herauskommt. Sie sind auch nicht immer unwissend oder unerfahren. Oft kann man das Umgekehrte sagen: Sie haben das alles »gefressen«, »die Kultur« und den »Menschen« und sie sind übersatt daran geworden und müde.“*

* Erfahrung und Armut, Gesammelte Schriften. Band II/1, 218