Monat: August 2019

Die Sucht, sich zu sehnen

Eine Liebe voller Sehnsucht zeigt nicht deren Unerfülltheit, sondern die Größe des Gefühls. Erfüllt ist eine Liebe nicht, wenn sie alles bekommt, wonach sie verlangt, sondern wenn ihr gerade so viel fehlt, dass sie Lust hat zu wachsen.

Lügners Angst

Die größte Angst des Lügners, – nicht bei einer Unwahrheit ertappt zu werden, sondern – als Weltverdreher entlarvt, lässt ihn mit den billigsten rhetorischen Mitteln die Hauptunterscheidung nivellieren, die im Leben Orientierung und Verlässlichkeit schenkt: die, dass Begriffe Bestimmtes sagen, und nicht alles. Er zerstört die Sprache mit ihr selbst, entleert die Wörter ihrer Bedeutung, höhlt Phrasen so aus, dass sie nur noch als erkaltete Hülle ein letztes, verhallendes Zeugnis geben von dem, was sie einst an Inhalt bargen. Die Sache hat ein einziges Ziel: ihm nichts mehr vorwerfen zu können, weil der Vorwurf kein Gewicht, keine Geltung, keinen Gehalt mehr hat. Die Welt des vollendeten Lügners besteht nur noch aus zwei Wörtern, so what.

Wenn das Denken faul wird

Die meisten Vorurteile entstehen, weil richtige Gedanken nicht zu Ende gedacht worden sind. Sie entstammen weniger Unwissenheit als der Ungeduld mit einem Verstand, der für seine besten Leistungen Zeit braucht und Langmut einfordert, wie er Entlastung braucht. Das Problem ist, dass ein Vorurteil, das sich einmal gebildet hat, die Fortsetzung des Denkens verhindert. Aus Furcht, denselben langweiligen Reflexionsprozess noch einmal zu gehen, blockiert es dessen Fortsetzung. Wenn man nicht aufpasst, wird aus einem Denken, das faul ist, eines, das verfault ist.

Was bleibt, wenn die Formen wechseln?

Viel lässt sich erkennen über Tiefe und Weitsicht, Kraft oder Strenge einer Äußerung, wenn man die Formen wechselt: Man dürfte Philosophie nur dichten*. Und Liebeserklärungen ausschließlich in der Art einer schlüssigen Argumentation vortragen. Das überraschte Staunen käme als Befehl zum Ausdruck. Die Bitte wäre eingekleidet in eine Erzählung. Müsste man nicht die Beteuerung, Sätze seien wahr, als eine ihrer größten Verlegenheiten anerkennen; und aufs Schönste verlegen konstatieren, dass sie dennoch wahr sein können?

* Vgl. Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen, 58

Gartengestaltung

Was viele Briten für Probleme mit Europa haben, lässt sich schon an der Gestaltung der Gärten sehen: Der englische Gärtner behandelt die Natur so, dass er aus ihr herausarbeitet, was sie in sich trägt. Sein Ideal ist die Paradoxie einer Anordnung des Zufalls. Der französische Gärtner zwingt der Natur hingegen auf, was er sich an geometrischen Formen vorstellt. Sein Leitbild ist die strenge Ordnung, nichts überlässt er dem Zufall.

Alles über die Lösung von Problemen

Die meisten Probleme lösen sich, wenn sie nur in der richtigen Form ausgesprochen werden.

Der autoritäre Charakter

Je unfähiger eine Kommunikation ist, Differenzen auszuhalten, desto größer ihr Hang zum Machtwort. Das beendet die Auseinandersetzung, ohne sie sich austragen zu lassen, und duldet die Alternative aus widerstrebenden Weltsichten nicht. Der autoritäre Charakter erlebt seinen größten Triumph bei denen, die nach Harmonie streben. Ihre Sehnsucht nach Ruhe erfüllt er mit boshafter Präzision, indem er jede gegenteilige Überzeugung im Keim erstickt. Demokratische Gesellschaften erhalten sich in dem Maße, wie sie lernen, richtig zu streiten. Anders: wie sie fähig sind, die Frage nach Wahrheit zu stellen.