Tag: 3. September 2019

Nachhilfe im Fragen

Die besten Fragen drängen nicht auf eine Antwort. Sie öffnen vielmehr den Horizont für bisher Unbekanntes, Unbetretenes, Ungesagtes, von dem sie nicht erwarten können, dass es eine exakte Erwiderung darstellt auf das Intendierte. Vielmehr wirken sie als Wegzeichen, manchmal als Wegbereiter des Denkens, verhindern, dass es seine Bewegung ermattet und lustlos einstellt. Als Hannah Arendt im Mai 1952 ihren früheren Lehrer und Geliebten Martin Heidegger besucht, erzählt sie ihrem Mann Heinrich Blücher in New York begeistert von den neuen Vorträgen, die der Philosoph ihr vorgelesen hat. Und ist angerührt von der Begegnung mit dem Freund, der noch immer tief im Herzen Raum hat. Blücher antwortet so ganz ohne Eifersucht, ermuntert sie vielmehr, keine Rücksicht zu nehmen auf die Beleidigungen von Elfride Heidegger: „Vergiß die Frau: Wenn Dummheit hartnäckig wird, das ist der Punkt, wo sie in Schlechtigkeit übergeht oder jedenfalls von ihr nicht mehr unterscheidbar wird … Was heißt uns denken? ist eine der großartigsten Fragen nach Gott. So hilf ihm fragen.“* Es gibt keine schönere Bestimmung für das, was mit Fug Gespräch genannt wird: Nachhilfe im Fragen.

* Hannah Arendt / Heinrich Blücher, Briefe 1936 – 1968, 278