Tag: 30. Dezember 2019

Was kommt danach?

Mangels Benennungsphantasie – oder wohnt den Lebensverhältnissen gar ein heimlicher Hang zur Selbstvernichtung inne? – heißen jene Zeiten, die sich von sich selbst schon verabschiedet haben – oder von jenen Intellektuellenbeamten entlassen wurden, die dringend ein neues Forschungsfeld brauchten –, Spätphasen, ohne allerdings schon erkennen zu geben, wohin sie aufgebrochen sind. Wir leben in der Spätmoderne (Anthony Giddens, jüngst Andreas Reckwitz), beobachten, das allerdings schon lang, den Spätkapitalismus (so seit Werner Sombart), haben es mit einer Spätkultur (Arnold Gehlen, schon Oswald Spengler, der sie als „Zivilisation“ bezeichnete) zu tun. Alles Späte, im Zustand der Reife, hat den Vorteil, dass man wagnisfrei ein Urteil sprechen kann. Man könnte auch sagen: den Vorzug der Gefälligkeit, so beim Genuss der Spätlese oder des Spätkaufs. Hegel hat die dem Denken inhärente Behaglichkeit und Langeweile als Qualität beschrieben: „Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“* Wer seinen Verstand so nutzt, riskiert nichts. Die Kunst ist vielmehr, früh zu erkennen, und rechtzeitig zu handeln.

* Grundlinien der Philosophie des Rechts, 28