Tag: 4. April 2020

Wie viel Hoffnung braucht der Mensch?

Die griechische Mythologie führt das Leid und die Übel, die die Welt heimsuchen, zu denen nicht nur Krankheit und Tod zählen, sondern auch die Arbeit (heute wäre es die Arbeitslosigkeit), auf die Neugier der Pandora zurück. Die hielt sich nicht an das Gebot, die Büchse verschlossen zu lassen, die ihr aus Götterhand geschenkt worden war, sondern ließ den verhängnisvollen Inhalt entweichen. Allein die Hoffnung blieb im Gefäß; den Deckel setzte die Lehmfrau drauf, bevor auch sie sich ausbreiten konnte. Seither kennt der Mensch die Hoffnung nur dosiert. Nietzsche hielt sie für „das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert“.* Das kann die Hoffnung in der Tat sein, wenn sie das Maß der Erwartungen zu weit über die Wahrscheinlichkeit setzt, dass sie erfüllt werden, oder nur noch als winziger Funken nichts mehr erhellt in düsteren Momenten. Doch ist der lange Atem der Hoffnung in Wahrheit nichts als das Bewusstsein für die Endlichkeit von allem, also auch des Elends. Dass der Volksmund ihr die Eigenschaft verleiht, zuletzt zu sterben, will bloß heißen, dass sie die Beschränktheit von allem anderen kennen und so mit Recht sich widersetzen kann gegen die Aussichtslosigkeit, die die Grenze der Not nicht wahrnimmt.

* Menschliches, Allzumenschliches § 71