Monat: April 2020

Wer den Schaden hat

Nur der Kluge wird aus Schaden klug, weil es nicht der Schaden ist, der klug macht, sondern eine Vernunft, die verhindert, dass man an ihm irre wird.

Gott in der Krise

Die Passionsgeschichten, die am Palmsonntag mit dem Einzug des Erlösers in Jerusalem beginnen, setzen vor die dramatische Schilderung des Leids Humor. Im Stil einer Parodie lassen sie den Protagonisten ins Geschehen treten, in dem er weniger handelt, als dass er duldet. Er, der Weltenretter, setzt sich auf einen Esel, wo andere Herrscher hoch zu Ross durch die Tore der Stadt ritten, die Gesten der Macht ins Komische und Understatement brechend. Das Volk, das von ihm alles erwartet, als es „Hosanna“ schreit, weiß nicht, ob es jubeln soll oder flehen, wie es im Hebräischen heißt: Hoschana, hilf doch! Und es erlebt fortan einen Gott in der Krise, der so sein Versprechen einlöst, ein Gott in der Krise zu sein. Viele Zweideutigkeiten auf einmal. Bis dahin, dass offenbar wird, wie die Summe der Missverständnisse ins Verstehen führt.

Wie viel Hoffnung braucht der Mensch?

Die griechische Mythologie führt das Leid und die Übel, die die Welt heimsuchen, zu denen nicht nur Krankheit und Tod zählen, sondern auch die Arbeit (heute wäre es die Arbeitslosigkeit), auf die Neugier der Pandora zurück. Die hielt sich nicht an das Gebot, die Büchse verschlossen zu lassen, die ihr aus Götterhand geschenkt worden war, sondern ließ den verhängnisvollen Inhalt entweichen. Allein die Hoffnung blieb im Gefäß; den Deckel setzte die Lehmfrau drauf, bevor auch sie sich ausbreiten konnte. Seither kennt der Mensch die Hoffnung nur dosiert. Nietzsche hielt sie für „das übelste der Übel, weil sie die Qual der Menschen verlängert“.* Das kann die Hoffnung in der Tat sein, wenn sie das Maß der Erwartungen zu weit über die Wahrscheinlichkeit setzt, dass sie erfüllt werden, oder nur noch als winziger Funken nichts mehr erhellt in düsteren Momenten. Doch ist der lange Atem der Hoffnung in Wahrheit nichts als das Bewusstsein für die Endlichkeit von allem, also auch des Elends. Dass der Volksmund ihr die Eigenschaft verleiht, zuletzt zu sterben, will bloß heißen, dass sie die Beschränktheit von allem anderen kennen und so mit Recht sich widersetzen kann gegen die Aussichtslosigkeit, die die Grenze der Not nicht wahrnimmt.

* Menschliches, Allzumenschliches § 71

Gewissensentscheidung

Die wirklich ernsten Entscheidungen werden gefällt nicht nur – das gilt immer – unter der Bedingung von Ungewissheit. Für sie muss vielmehr angenommen werden, dass auch nach dem Entschluss, also von dem Augenblick an, da die Ungewissheit durch die getroffene Wahl aufgehoben ist, zweifehaft bleibt, ob der geeignete Weg eingeschlagen wurde. Das Gewissen übernimmt im Urteil die Aufgabe, einen Schritt entschlossen zu rechtfertigen, von dem nicht einmal im Nachhinein mit Sicherheit gesagt werden kann, dass er der richtige war.

Ausnahmesituation

Es gibt ein sicheres Kriterium für den Zeitpunkt, von dem an Krisen ihren Höhepunkt überschritten haben: das ist der Moment, in dem wir Lebensformen, die wir in der Ausnahmesituation und für sie entwickelt haben, künftig nicht mehr missen wollen.

Und? Was denkst du?

Es ist anstrengend, wider das Offensichtliche zu denken. Je geringer die Beteiligung der Sinnlichkeit an dem, was doch für ernst erklärt werden muss, desto größer die Bandbreite der Deutungen. Dass unablässig über die Gefahr gesprochen wird, dass Theorien und Unverständnis, Zorn oder Ängste, Geschichten und Vermutungen ausgetauscht werden wie in den fröhlichen Zeiten des unbeschränkten Warenverkehrs, hat wenig damit zu tun, dass wir so viel wüssten, als vielmehr mit dem Mangel an genauen Einsichten. Ob das Virus in den Worten präsenter ist als in der Wirklichkeit, mag nur die typische Befürchtung sein einer Vorstellungskraft, die ihre Phantasie herausgefordert sieht, um der Bedrohung nüchtern zu begegnen, und sich vor dem Phantastischen hüten muss, um sie zu bewältigen.