Tag: 21. Juli 2020

Gastfreundschaft

Unter den verschiedenen Formen der Freundschaft, die vom Geschäftsfreund bis zum Busenfreund reicht, ist die Gastfreundschaft am klarsten geregelt. Der Gast, der in vielen Sprachen auch der Fremde heißt, soll nach alter Weise, die seit den Tagen gilt, da der schiffbrüchige Odysseus auf einer Insel beim Volk der Phäaken, der friedlichen Fährleute, gestrandet war, nicht länger bleiben als drei Tage. Die allerdings haben es in sich. Alles sei dem Besucher in dieser Zeit über die Maßen zu gewähren, auf dass es ihm nur ja an nichts fehlen möge. Und Gastgeschenke sollen ihm mitgegeben werden für seine Weiterfahrt. Reichlich. Und der guten Erinnerung wegen. Womit der Fremdling das verdient hat? Da nach seinem Namen nicht gefragt wird, könnte er dieser oder jener sein, auch ein Gott auf der Reise. Das allein reicht für Gunstgewährung. Und der Dank? Nichts als seine befristete Gegenwart – also: keiner? Doch, schon. Denn in ihr stecken die wahren Schätze jedes Besuchs: die unbekannten Welten, die mit der Präsenz des Fremdlings ins eigene Haus kommen. Bezahlt wird mit Geschichten. „Sprache ist Gastlichkeit.“*, sagt Emmanuel Levinas. Umgekehrt gilt es gleichermaßen: Gastlichkeit ist Sprache. Das ist die Aufgabe des Fremden als Antwort für die Aufnahme: Sorge zu tragen, dass der Gastgeber sich nicht langweilt und seinen Horizont erweitern kann. Die „Währung“ der Gastfreundschaft ist Kultur. Da sind drei Tage recht bemessen.

* Totalität und Unendlichkeit, 444