Tag: 29. Oktober 2020

Kulturkampf

Es ist eine absolut reduzierte Vorstellung, die der staatliche Eingriff, ja Angriff auf die Kultur erzwingt von dem, was einst stolz und gelegentlich verharmlosend Kulturkampf hieß. Fortan kämpft die Kultur – nur noch um sich selbst. Jedes Ringen um Wahrheit oder zwischen Wertbegriffen, das in dem Maße leidenschaftlich geschieht, wie es ein Gemeinsames anerkennt, und es sei es allein das Recht des Denkens, sinnvoll zu entscheiden, setzt Kultur voraus. Sie ist eben nicht, was sich nur in Branchen erschließt, wie es die Politik fördert, wieder nur geleitet von einer Vorstellung der Funktionen, dessen, was Kultur leistet und beiträgt zur Aufrechterhaltung eines Systems (Theater, Galerie, Konzerthaus, Gastronomie, Sport). Sondern sie ist über all das hinaus, was in diesen Institutionen gestiftet und zur Selbstbildung offeriert wird, der unfassliche Ort des Selbstverständlichen, der Gemeinsinn, Teilhabe, Rücksichtnahme, Gespür und Geschmack, letztlich all jene schönsten Eigenschaften prägt, die für Krisenzeiten und deren Überwindung wesentlich sind. Kultur ist nicht notwendig; sie ist mehr als notwendig. Sie ist nicht relevant; sie ist essentiell. Sie funktioniert nicht, sondern ermöglicht, dass eine Gemeinschaft, auch eine Wirtschaft, stabil funktionieren kann. Ob das jene ernsthaft verstehen, die sie stets dann zuallererst in den Blick nehmen, wenn es ums Sparen, Verzichten und Einschränken geht, und zuallerletzt, wenn Erhaltung und Förderung nottut (was nicht allein und nicht vornehmlich finanzielle Aspekte behandeln muss)? Es mag sich rächen, dass Kultur stets eine problematische Beziehung zur Macht entwickelt hat, die sie oft verdächtigt, sich allzu sehr mit der Dummheit verbündet zu haben. Und dass sie fürchtet, von dieser korrumpiert zu werden, sobald sie sich in die Organisation von Führung begibt.