Tag: 6. Dezember 2020

Satzzeichen der Liebe

Zur Grammatik der Liebe
Das der Liebe angemessenste Satzzeichen ist der Doppelpunkt: Sie verlangt in dem Maße nach Fortsetzung und Steigerung, wie sie von sich selbst überzeugt ist. – Als Frage taugt die Beziehung zwar auch, sofern das Wir, das ein „Uns“ auszeichnet, nicht selbst dauerhaft in Zweifel gezogen wird. Womit haben wir das verdient? Dann hat sie gewiss den Vorzug, dass nichts an ihr selbstverständlich erscheint und sie von den ungezählten Unbedachtheiten des Alltags meist verschont bleibt. Sie erklärt sich vor sich in starkem Selbstbewusstsein. Doch das kann anstrengend sein. – Ohne solche Mühe scheint indes jene Liebe auszukommen, die wie ein lautes Ausrufezeichen ruft: Seht her, das Glück ist ein privates Weltereignis. Ja! – Eingeklammert zu sein, verträgt ein Verhältnis, vor allem wenn sich außerhalb seiner etliche Angebote in Konkurrenz setzen, nicht. Der Liebe ohne den selbstverständlichen Zugriff auf das, was sie nicht ist, fehlt mehr als die Öffentlichkeit. Heimliche Verhältnisse sind selten heimelig. – Am schönsten jedoch ist die Liebe, die nichts zeigen muss, die sich nicht rechtfertigt, die nichts ausschließt außer das, was sie gefährdet, die kein Ende kennt, die nicht wie eine einzige Interpunktion sich selbst hervorhebt, weder Binde- noch Trennungsstrich kennt, sich nicht in Anführungszeichen setzen muss, sondern so unfasslich bleibt wie ein Satz, der nicht aufhört.