Monat: Januar 2021

Auf Zeit

Das Leitmotiv der Demokratie wiederholt den Hauptsatz des Lebens: Alles hat seine Zeit.

Beifang

Beim Fischzug durch das aufgewühlte Meer der Gedanken verfangen sich Sätze, die nicht recht zu gebrauchen sind, aber auch zu schade, um sie wegzuwerfen. Die Notizbücher sind randvoll davon. Ihre Zwitterqualität verlieren sie im Augenblick ihrer Publikation. Da treten sie in Konkurrenz zu dem geplanten Werk, das noch geschrieben sein will, aber nie so weit bearbeitet wird, weil die knappe Sentenz eine Überlegenheit zeigt, die ein noch unfertiger Text, dem sie ihre Entdeckung überhaupt erst verdankt, nie erreichen wird. Im Beifang findet sich oft genug ein Edelfisch; da muss nichts anderes mehr auf den Tisch.

Monothematisch

Corona: das Thema nervt, weil die Sache lästig ist. Und sie ist es nicht nur wegen der elenden Krankheitsfolgen, sondern auch weil sie kein zweites Thema neben sich duldet. Der Absolutismus der Wirklichkeit demütigt das Denken.

Bürgernähe

Der Politiker, der nach Nähe zu seinem Wahlvolk strebt, kann sie rasch wiederfinden, wenn er nur gesteht, die Lage nicht immer im Griff zu haben. Das nämlich ist der Normalfall eines freien Bürgers und hierin wäre er ihm am meisten ähnlich, der sich im Raum des Ungewissen so bewegt, dass er seinen Entscheidungen die Erinnerung nicht tilgt, sie hätten auch anders getroffen werden können. Je mächtiger Menschen sind, desto eher neigen sie zur Furcht vor diesem Bekenntnis der Fraglichkeit und des Zweifels. Vielleicht nicht mächtig, aber souverän ist immer der Nachdenkliche, der sein Denken nicht nur dem Handeln voranstellt, sondern im Nachgang zu einem Entschluss wieder aufgreift, was dieser durch seine Einseitigkeit ungerechterweise verdrängt hat, bis hin zur Offenheit einer Revision oder Korrektur.

Aus dem Füllhorn der Wünsche

Mit Wünschen darf man nicht knausern. Sie sollten immer großzügig bemessen und reichhaltig sein. Man weiß ja nie, wie viele sich erfüllen.

Erklärungsversuche

Für jede Erklärung gilt die Maxime: gerade so viel, dass der kluge Leser oder Hörer des Rätsels Lösung selber zu finden vermag, und in jedem Fall so wenig, dass er sich nicht gelangweilt und bevormundet vorkommt. Die Erläuterung sollte immer der Auftakt zur Deutung sein, nie der Versuch, sie zu ersetzen. Es besser zu wissen, dieser feine Stolz gebührt allenfalls dem Interpreten.

Neue Wege, neue Ziele

Das Ziel ist der am meisten überschätzte Punkt auf einem Weg. Mit seinem Anspruch, dass es nur darum ginge, es möglichst rasch zu erreichen, lenkt es ab von dem, was eine Bewegung überhaupt interessant sein lässt, von der Plötzlichkeit einer Entdeckung, vom wachsenden Selbstgefühl, das sich einstellt in der Bewältigung von Hindernissen, von der Freiheit abzuirren, auf der alle Lebenserfahrung gründet. – Was hast du dir vorgenommen? Anzukommen. Wo? Das wird sich zeigen. – „Im Frühjahr sich verlieben, im Spätsommer das Ziel seiner Wünsche erreichen – so ist‘s am schönsten“, schreibt Sören Kierkegaard in einem Buch, dessen Titel „Entweder / Oder“ vor allem eine Verheißung enthält: Es gibt eine Alternative.