Monat: Februar 2021

Weltwetter

Kann man vom Wetter reden, wenn alle Welt von anderem spricht? Das Wetter als Themenersatz mangels eines Gegenstands mit Erregungspotential leidet in einer Zeit, die Aufreger zuhauf liefert, vom Dauerbrenner Seuche bis zur Gelegenheitsentrüstung über Sexismus. Und doch bestimmt es die Art, wie wir Welt erleben, gerade in einer Zeit, die das Zuhause ins Zentrum rückt und nach geweiteten Horizonten wie lockenden Perspektiven lechzt. Gleichgroße Räume erscheinen je nach Wetterlage verschieden, im schneeerstickten Norden so viel enger als im frühlingshaften Süden. Extremwetter ist jener meteorologische Zustand, dem die Welt sich nur begrenzt gegenüber trotzig zeigen kann.

Die letzte Instanz

Vier Imperative, „archimedische Punkte“, sind es, die Erich Kästner in seiner „Kleinen Neujahrsansprache vor jungen Leuten“ auflistet: Jeder Mensch höre auf sein Gewissen! Jeder Mensch suche sich Vorbilder! Jeder Mensch gedenke immer seiner Kindheit! Jeder Mensch erwerbe sich Humor!* Sie gehören zusammen und repräsentieren, was ein souveränes Bewusstsein auszeichnet: seine moralische Bildung, seine Fähigkeit zur Anerkennung, sein Verhältnis zur eigenen Geschichte und das Talent, sich von der Welt zu distanzieren. Am Ende lassen sich diese aufeinander abgestimmten Bezüge in dem zusammenfassen, was einst emphatisch Urteilskraft geheißen hat und als Kraft eines Urteils Widerstände gelassen abzuwehren und aufrecht auszuhalten vermag. Das kann sogar zum moralischen Korrektiv taugen, ist aber alles andere als die mit kaum verhohlener Selbstgefälligkeit auftretende moralische Korrektheit, die den shitstorm zur letzten, lauten Instanz ausgerufen hat.

* Vgl. Erich Kästner, Gesammelte Schriften 5, 262

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Je höher die Position in der Machthierarchie einer Organisation, desto größer die Gefahr, die eigene Beratungsresistenz mit Entschlossenheit zu verwechseln. Man entscheidet nicht mehr, weil man überzeugt ist, das Richtige zu tun, sondern handelt in der Sache zu recht, weil man sie selber veranlasst hat. Das Lästige an flachen Arbeitsstrukturen ist, dass mit ihnen die Zahl derer überproportional wächst, die zweifellos glauben, mitreden zu können.

Grau in grau

Unter allen meteorologischen Erscheinungen ist die lang anhaltende Unentschiedenheit zwischen Schnee und Regen das Hässlichste, was einer Landschaft angetan werden kann. Wenn sich winterliche Kahlheit mit der Kälte zu einer klitschnassen Melange verbinden, leidet nicht nur das ästhetisch empfindsame Gemüt. Auch das moralische Bewusstsein lernt etwas über einen Willen, der nicht weiß, was er bevorzugt. Am Ende erscheint die Welt als ein grauer Ort, in dem zurechtzufinden schwer fällt. Klarheit ist die Schönheit der Moral.