Bürgersinn

Am 27. Januar 1848 sagte Alexis de Tocqueville in einer leidenschaftlichen Rede vor der französischen Abgeordnetenkammer die Revolution einen Monat vor deren Ausbruch voraus und analysierte zugleich die Entstehungsbedingungen dieses Umbruchs. Er habe die „Tribüne bestiegen“, weil er glaube, dass sich die Sitten und der Gemeinsinn in einem gefährlichen Zustand befinden und „dass die Regierung auf eine äußerst riskante Weise dazu beigetragen hat“. Dabei sei ihm wichtig, dass verstanden werde, dass er dies nicht aus der Sicht eines Moralisten vortrage, sondern „von einem politischen Standpunkt“ aus. Das Beunruhigende für die Gesellschaft sei, dass der Bürger, also auch der gewählte Politiker, in einem umfassenden Sinn ungebildet ist, weshalb er dazu neigt, seine persönlichen Interessen vor die gemeinschaftlichen Aufgaben zu stellen. „Die öffentlichen Sitten verderben dort, sie sind dort schon gründlich entstellt; sie verschlechtern sich von Tag zu Tag; immer mehr werden die gemeinsam geteilten Überzeugungen, Empfindungen und Ideen von Einzelinteressen und individuellen Zielen abgelöst sowie von Auffassungen verdrängt, die dem Privatleben und -interesse entspringen.“* Es reichte, diese kleine, bedeutende Rede in unseren Parlamenten heute vorzulesen.

* Alexis de Tocqueville, Kleine politische Schriften, 180