Das böse Wort

Die Faszination der Sprache, ihr Reichtum, ihre Plastizität, ihre Wirkungsmacht, verleitet zu der allzu schlichten Annahme, dass die Änderung eines Worts auch das Problem zum Verschwinden bringt, das sich an einem Begriff entzündet hat. „Wording“ nennt sich dieser Glaube an die Kraft der kommunikativen Kosmetik, ein Zauberwort, das bei Managern und Politikern, Rechtsanwälten oder Beratern, zum festen Bestand ihrer Arbeits- und Lebenswelt gehört. Durch Ausdrucksänderungen und verbale Tabus* wird einer einfachen Magie entsprochen, die in dem Maße effektiv ist, wie man sich tiefe Gedanken darüber versagt, was es wohl sein könnte, das da publikumsheischend funktioniert. Nicht nur gilt: the medium is the message**; es verspricht Heilung in einem Konflikt auch, die Hülse zu wechseln, als ob sich der Charakter einer Schönheit besserte, wenn sie sich die Lippen aufspritzen oder die Lider straffen lässt. Über der Attraktivität der Sprache vergisst man, was an ihr anziehend ist: dass sie nämlich nie nur äußerlich ist oder äußerlich bleibt, sondern über ihre Bedeutungsvielfalt einen Menschen zeigt und durch ihre Wortweite eine ganze Welt zu öffnen vermag.  

* Die Verabredungen für eine Große Koalition enthalten das Verbot, dass die Beschränkung von Zuwanderungszahlen nicht mehr „Obergrenze“ genannt werden dürfe.
** Marshall McLuhan, Understanding Media