Das Selbstbewusstsein als Missverständnis

Jeden Tag um dieselbe Stunde saß der Mann in der Kirche, immer in der dritten Bankreihe rechts. Der Pfarrer, der den Gast über eine gewisse Zeit beobachtet hatte, sprach ihn eines Abends an: Ob es ihm gut gehe? „Wenn es die Hölle gibt, sitze ich mittendrin.“ Erschrocken reagierte der beflissene Geistliche wider die eigenen Absichten und Einstellungen: Ja, dann müsse er dringend gehen, dann sei der Himmel für ihn wohl außerhalb des Gotteshauses. „Das hätte ich nicht erwartet“, sprach der Mann nun, „dass Sie das wirklich meinen. Die eigene Wahlstatt so verleugnen. Ich hatte nicht behaupten wollen, dass dieser Ort, an den ich täglich komme, um Entlastung zu finden, die quälende Unterwelt sei. Die finde ich vielmehr in mir und hoffte, Sie könnten mich daraus befreien. Nun aber muss ich feststellen, dass Sie offensichtlich der heilenden Wirkung Ihres Gottes und seines Hauses selbst nicht recht trauen und mich wegschicken. Was ich nie nur im Ansatz dachte, wird dieser Platz für mich jetzt: eine Stelle der größten Einsamkeit. Schade, durch Ihr Missverständnis bin ich der Wahrheit nähergekommen. Nur, dass sie nicht frei macht, sondern mich gefangenhält, indem Sie mich ins Freie weisen. Hätte gern mit Ihnen geplaudert.“ Der stotternde Rettungsversuch des kirchlichen Amtsträgers machte es nur noch schlimmer. Der Gast verließ wortlos seine Bank und schlich sich nach draußen.