Der Engel

Am lichten Vormittag der letzten Gelegenheit, vor dem Fest ein Präsent zu finden, ist die Stadtbahn noch einmal aufgeregt laut. Kinderkreischen, das metallische Quietschen der Bremsen, die gelangweilten Durchsagen aus der Lenkerkabine, sie mischen sich mit dem unausgesetzten Stressgeflüster und Stimmengewirr der Fahrgäste. Alles drängt in die halbtags geöffneten Geschäfte in der Hoffung, eine Verlegenheit am Gabentisch gerade noch vermeiden zu können. Inmitten der nervösen Unruhe sitzt eine Frau auf der Bank. Ihr Haupthaar hat sie verborgen unter einer leichten, hellen Strickmütze. Ihr Blick ist gerichtet auf ein Buch; konzentriert nimmt sie den Text auf. Nichts scheint sie zu erreichen von dem, was um sie herum hektisch wuselt. In einer anderen Welt zuhause, muss sie sich nicht umblicken, um gesehen zu werden. Die ganze Anmut ihrer Gegenwart stammt aus einer eigentümlichen Abwesenheit. Da ist keiner, der so präsent ist wie sie, die nicht dazu gehört. Und die, kaum dass der Beobachter sich für einen Augenblick abgewendet hat, schon im Pulk der Aussteigenden verschwunden ist. Ein Engel, der wie alle diese Vorboten des Himmels immer nur kurz zu Besuch zu kommt.