Der Heuchler

Heuchelei kommt, wenn Hochmut der Fall war, jene Überheblichkeit zu meinen, man tauge als moralisches Vorbild. Sie ist eine Lebenslüge, die kurz vor dem Eingeständnis gegenüber sich selbst haltmacht, um vor anderen den Anspruch, eine anständige Autorität zu sein, noch aufrechterhalten zu können. Der Zweifel an der eigenen Integrität ist nicht so groß, dass die Außendarstellung all die feinen Risse widerspiegelt, welche die Selbstwahrnehmung schon brüchig sein lässt. Der innere Zwiespalt wird aufgehoben in einer scheinbar intakten, tugendhaften Identität. Nur, dass dieser kaum mehr geglaubt wird. Über nichts täuscht sich der Heuchler so sehr wie über die Wirkung seines Versteckspiels. Ihm fehlt die Skrupellosigkeit des Amoralisten, der kleine Rest an Geradlinigkeit, die Idealisierung des Untadeligen verrät ihn. Der Makel des Heuchlers ist sein schlechtes Gewissen, dessen er sich nie vollständig entledigen kann.