Der Tag, an dem sie Schluss machte

Aus dem noch ungeschriebenen Roman

Am Tag, an dem sie mit ihm Schluss gemacht hatte, waren die Fernsehnachrichten genau eine halbe Minute zu kurz. Zwanzig Uhr vierzehn und dreißig Sekunden zeigte seine Uhr, als die Sprecherin sich verabschiedete. Sie wünschte noch einen schönen Abend, doch er hörte in seiner Trance nur: Leb wohl. Der Wunsch, der kein Wunsch ist, diese zwei letzten, hingeschmetterten Wörter, dröhnten ihm seit ein paar Stunden im Kopf. Von den Tagesereignissen, die auf dem Bildschirm gezeigt wurden, hatte er nichts mitbekommen. Nur dass die Sendung zu früh aufhörte. Zu früh, wie ihr Liebesverhältnis. Hatte sich in der Welt nicht mehr zugetragen, was berichtenswert gewesen wäre? Unwahrscheinlich. Oder fiel eine Meldung kurzfristig aus redaktionellen Gründen weg?

Die auffällige Leerstelle ließ ihn nicht los. Als ob zur Hauptsendezeit Platz gelassen worden wäre für seinen privaten Weltschmerz: Guten Abend, meine Damen und Herren. Nach langem und tiefem Glück haben sich am frühen Abend wegen Nichtigkeiten zwei Menschen getrennt. Wie belanglos das klingt, was ihn, vielleicht auch sie, umgehauen hatte. Da hätte die Welt untergehen können, für ihn stände diese Meldung auf Platz eins. In der Redaktionskonferenz, die kurz vor der Ausstrahlung noch getagt haben würde, hätte er alles gegeben, um diese erschütternde Nachricht an vorderster Stelle zu platzieren. Die Öffentlichkeit hätte ein Recht darauf, das sofort zu erfahren, hätte er gesagt. Viele schalteten ja gleich um, sobald die wohlbekannte Melodie ertönt, die das Nachrichtenformat ankündigt. In seiner Vorstellung wandte ein Redaktionskollege ein, dass diese Sache ja noch nicht verifiziert sei. Sind Sie sicher? Stimmt das denn? Woraus schließen Sie das? Haben die beiden am frühen Abend Schluss gemacht? Oder nicht Wochen zuvor, ja Monate? Hatte sich das nicht abgezeichnet? Hat wirklich sie ihn abserviert; oder hatte er sie nicht immer wieder vor den Kopf gestoßen? Wer ist schuld? Die vielen Fragen verstärkten seinen Schwindel. Sehen Sie. Jetzt sind Sie sich der Angelegenheit doch nicht mehr so gewiss. Wir nehmen die Meldung raus und starten mit Syrien. Aber … Sein Einwand verhallte. Gewöhnen Sie sich dran: Es gibt Nachrichten, die keine Tatsachen sind. Und Tatsachen, die als Nachricht nicht belastbar sind, weil wir nie erfahren werden, wie sich die Geschichte wirklich zugetragen hat. Da erscheint das Schwierigste plötzlich ganz einfach. Und das, was so schlicht klingt, ist weit verästelt, fest verschlungen, tief verstrickt.