Die Antiquiertheit des Arguments

Es gibt ein heimliches Achselzucken im öffentlichen Diskurs. Beim Widerspruch in einer Sache ertappt, reagieren die so Identifizierten immer öfter mit einem wortreichen „Na, und?“ – oder halten es überhaupt nicht für nötig, darauf zu antworten. Sie können sich das folgenlos leisten, weil das Gespür für die Struktur eines Arguments, für den Aufbau von Gründen, für zwingende Logik keine beurteilende Rolle mehr spielt. Jeder kann behaupten, was er will; ob er einen starken Beleg anfügt, ob er frei assoziiert, statt zu argumentieren, wissen nur wenige noch zu unterscheiden. Doppelmoral in Steuerfragen? Kein Problem. Ein Rechtsbruch des Gesetzgebers? Was soll’s. Strategieänderung in einer zentralen politischen Frage? Bleibt lang unbemerkt, muss nicht erklärt werden, bedarf keiner Rechtfertigung. Eher erntet derjenige Empörung, der die Ungereimtheit aufdeckt. Denn er entpuppt sich als Spielverderber im Gesellschaftsspiel des komplexen Meinungstauschs, in dem der Anspruch auf Verbindlichkeit und Verlässlichkeit, Stimmigkeit oder Stringenz wirkt, als würde man den Pepitahut für den letzten Schrei in der Männermode halten.