Die Nachricht vom Vorrecht

Weihnachten, formal: Im Akt der Gnade ist die wichtigste Institution, der Menschen sich unterwerfen, – das Recht – aufgehoben. Das bedeutet allerdings nicht, dass durch diesen außerordentlichen Gunsterweis das Gesetz außer Kraft gesetzt ist. „Aufgehoben“ meint zunächst: Jener gesellschaftliche Rahmen, auf den sich jedes Urteil zu beziehen hat, das die Anerkennung aller verlangt, verzichtet im Einzelfall darauf, das letzte Wort zu haben, ohne fürchten zu müssen, dass er sich selbst so ganz und gar suspendierte. Das Recht ist Recht, solange es nicht totalitär wirkt. „Aufgehoben“ heißt zudem, dass sich das Gesetz in der Gnade allererst erfüllt. Es ist in ihr bewahrt, weil es sich im Ganzen aus ihr herleitet. Das Recht stimmt die Menschen gnädig und ist ihnen gnädig, die ohne es sich in einem Kreislauf aus Untat und Rache derart verstrickten, dass ihr Zusammenleben in einer Gemeinschaft unmöglich wäre. „Aufgehoben“ versteht letztlich die Gnade selber als einen Rechtsakt sondergleichen, ihren höchsten, in dem das Gesetz an die Grenze seiner eigenen Möglichkeit gerät, dies aber als seine vornehmste Aufgabe ansieht. Jedes Urteil qualifiziert die Tat und den Täter eindeutig, im Wissen, dass Tat und Täter nicht in dem aufgehen, was sich über sie sagen ließ. Gnade ist die Anerkenntnis des Rechts, dass es auch ganz anders sein könnte, obwohl es so und nicht anders ermittelt und so und nur so interpretiert wurde.