Ein großes Herz

Im berühmten Questionnaire, den Marcel Proust zweimal ausgefüllt hat, heißt es: Welche Fehler entschuldigen Sie am ehesten? Die Frage sucht nach Differenzierungen, nicht nur im Misslingen und misslichen Handeln, sondern auch in den Formen der Nachsicht. Sind Fehler, die aus Versehen begangen werden, aus Naivität oder Unachtsamkeit, gar aus Liebe, weniger schwerwiegend als jene Untaten, die im vollen Bewusstsein, mit Vorsatz, aus Mutwillen geschehen? Das Recht unterscheidet hier, manche Moral klassifiziert und hierarchisiert. Aber auch die Verzeihung? Paul Ricoeur spricht einmal vom „schweren Verzeihen“* und meint den Ernst eines Akts, der auf die Tragik der Verfehlung antwortet. „Hier berührt sich das Verzeihen mit dem aktiven Vergessen: nicht mit dem Vergessen der Tatsachen, die wirklich unauslöschlich sind, sondern mit dem Vergessen ihrer Bedeutung für Gegenwart und Zukunft.“** Zu ihm gehört, dass es immer größer ist als alles, was seiner bedarf, um die Lebendigkeit einer Beziehung nicht nachwirkend zu zerstören. Und dass es nur eine Unterscheidung kennt, die zwischen jenen, die um Entschuldigung bitten, und jenen anderen, die sie einfach nur nötig haben.

* Vgl. Das Rätsel der Vergangenheit, 153ff.
** aaO. 155