Eine Art Naturkatastrophe

Zweimal ist das Wort „Naturkatastrophe“ öffentlich gefallen als Beschreibung einer Zeit der Ansteckungsgefahr, vom Virologen zunächst angeboten und vom Politiker wiederholt.* In ihm klingt mit das Ohnmachtsgefühl und die Schicksalhaftigkeit eines Ereignisses, dem der Mensch ausgeliefert ist, nur dass sich dieses nicht lokal begrenzen lässt wie ein Vulkanausbruch oder ein Tsunami. Gegen solche Überwältigung richten sich schon immer die Wissenschaft, deren Aufklärungsbemühen im Dienst der technischen Beherrschung steht, und die Staatslenkung, deren Pragmatismus stets die Fähigkeit des Zusammenlebens steigern will. Dass die Erinnerung an die Natur und ihre ungezügelte Kraft mit dem Begriff aus der Tragödientheorie verbunden wird – den Wendepunkt, an dem sich das Los des Helden entscheidet, die καταστροφή –, mag angesichts des großen Stils, mit der die Krankheit Menschen weltweit erfasst, auch einen längst vergessenen und verschobenen Gedanken über den natürlichen Gang der Dinge ins Blickfeld rücken. Vielleicht sind mit dem Tragischen auch Evolutionsgesetze wiedergekehrt, von deren Herrschaft der Mensch meinte, sich durch Kultur emanzipiert zu haben: die der Biologie. Noch Hans Blumenberg schreibt in seiner posthum publizierten Anthropologie, dass „die Existenzmöglichkeit des Menschen gerade dadurch biologisch definiert ist, dass er die Faktoren seiner eigenen Entwicklung auszuschalten vermochte. Ihm gelang dies, indem er eine wohl ausweglose Anfangssituation kompensierte durch die Schaffung einer kulturellen Zone um den eigenen nackten Leib herum. Diese kulturelle Zone, angefüllt mit Werkzeugen und allen Arten von Lebenssicherungen institutioneller und dinglicher Art, fängt den Zugriff der selektiven Mechanismen auf das organische System selbst ab.“** Was aber, wenn es sich bei dieser „Naturkatastrophe“ weltumspannenden Ausmaßes um genau die Wiederkehr einer natürlichen Auslese handelte, der zu entkommen die Wege noch nicht gefunden sind? Der Gedanke mag metaphysisch sein. Aber er ist, wie übrigens jede Metaphysik, weniger ein Versuch, das große Ganze zu bezeichnen, als dass er vielmehr geleitet ist von der Bescheidenheit gegenüber einer Welt, die zu verstehen eine unendliche, also nie abgeschlossene Aufgabe ist.

* Zuerst spricht Christian Drosten davon, auf dem World Health Summit: „Diese Pandemie ist ja erst mal kein wissenschaftliches Phänomen, es ist eine Naturkatastrophe.“ Dann, ein paar Tage später, beim Parteitag gestern, Markus Söder: „Corona ist eine Art Naturkatastrophe. Es ist vielleicht die Prüfung unserer Zeit und unserer Generation.“
** Beschreibung des Menschen, 539