Enttäuschungsfestigkeit

Jedes politische System ist die Reaktion auf eine Enttäuschung mit dem Vorläufermodell. Die nationalsozialistische Diktatur lässt sich als „gleichsam instinktive Antwort eines Geistes“  lesen, der „in der Führung der öffentlichen Angelegenheiten keine Autorität, Kontinuität, Einheit mehr erkennt“*; die Weimarer Republik löste eine ausgehöhlte Monarchie ab. Solche Enttäuschungen sind unvermeidlich und provozieren nur dann keinen grundlegenden Strukturwandel, wenn der Machtwechsel innerhalb der Ordnung genügend Raum lässt für die Frustrationen über die vergangene Regierung. Vielleicht ist das die Haupteigenschaft der repräsentativen Demokratie, dass sie ein Muster bildet für die Enttäuschungsfestigkeit einer Gesellschaft, weil Differenzen nicht zum Systemabsturz führen müssen, sondern im Gegenteil den Systemerhalt fördern.

* So Paul Valéry im Jahr 1934: Die Idee der Diktatur, in: Werke 7, 244