Erfüllung der Sehnsüchte

Mindestens so entscheidend wie die Frage, wofür man kämpft, ist bei einer politischen Willenskundgebung das Problem, mit wem man sich verbündet. Dieselbe partielle Überzeugung in der Sache wird, von einem anderen ausgesprochen, allzu schnell eine andere. Manches sei doch vernünftig? Wer so denkt, versteht nicht, dass selbst kleinste vernünftige Einsichten im Kontext von grölendem Hass, gewaltbereiter Wut und aufrührerischer Hetze weder Vernunft noch Einsichtigkeit behalten, sondern sich in kaltes Ressentiment verwandeln. Die reine Gegnerschaft lässt sich allzu leicht instrumentalisieren von Gestaltungskräften, mit denen am Ende keiner sich hatte gemein machen wollen. Im Jahr 1927, in einer Zeit, da sich viel Unzufriedenheit aufgestaut hatte, schrieb Paul Valéry: „Die Erfüllung unserer Sehnsüchte entfernt uns nicht immer von unserem Untergang.“*

* Paul Valéry, Notizen über Größe und Niedergang Europas, in: Werke 7, 169