Fallhöhe

Die Passionsgeschichten beginnen mit einer Reminiszenz an den Propheten Sarcharja, welcher der Stadt einen demütigen Friedenskönig verheißt, auf einem Esel reitend, ohne die Symbole der Macht zu demonstrieren (Sach. 9,9). So zieht der Weltenerlöser, nach den Berichten der späten Zeugen, in Jerusalem ein. Dennoch ist an dieser Erzählung mindestens so befremdlich wie die Jubelrufe des palmwedelnden Volks der, der sich – trotz aller Bescheidenheit – von diesem huldigen lässt. Ob hier die Fallhöhe markiert wird in einem Drama, das zwar mit Verurteilung und dem qualvollen Verbrechertod am Kreuz endet, aber nicht als Tragödie gelesen werden will? Das „Muss“ (Luk. 22, 37), als Notwendigkeit eines Geschehens, das schon in den Sehnsüchten der heiligen Literatur Jahrhunderte zuvor dokumentiert wurde, folgerichtig wieder aufgegriffen, soll keines des Schicksals sein. Es wird als Gehorsam gegenüber dem Vaterwillen beschrieben, als entschlossene Selbsteinfügung in die Tradition und Selbsterniedrigung, nicht als tragisch. Also bedürfte es der literarischen Erinnerung an den alles entscheidenden Wendepunkt gar nicht: kein Held, kein Absturz. Worauf verweist der Ritt auf dem Lasttier? Zu Beginn und zum Finale der Passion wird der Menschenretter zweimal vorgestellt – es sind die beiden einzigen Male in den Evangelien – als einer, der getragen wird und dem getragen wird. Dem Esel, der den Weltenherrn auf seinem Rücken sitzen hat, entspricht der Feldarbeiter Simon von Kyrene, der für Jesus das Kreuz schultert (Luk. 23, 26). Man lädt den Palmsonntag symbolisch nicht zu sehr auf, wenn man in ihm die Eröffnung einer Geschichtenfolge sieht, in deren Zentrum die Frage steht, was erträglich ist am Leben und unerträglich genannt zu werden verdient am Tod, nicht zuletzt am schuldlosen. Da konnte einer nicht alles heben, sondern bedurfte selber der tatkräftigen Unterstützung. Es ist die menschlichste Seite des Gottessohns, die des Getragenen. Präsentiert am Anfang und am Ende eines Leidensberichts, dessen Versprechen das einer endgültigen Entlastung ist (Matth. 11, 28 – 30). Und vom Auf(er)stehen handelt.