Fassen wir zusammen

Jedem Feingeist stellen sich die Nackenhaare auf, wenn er die Politiker-Floskel hört, man müsse in Bildung investieren. Das ändert auch nicht deren häufiger Gebrauch. Wem wirklich an ihr, der Bildung, gelegen ist, schielt nicht auf das, was sie bringen wird, wie der Investor vornehmlich auf die Rendite schaut. Das Bürokraten-Gerede verkennt, dass Bildung zwar nicht unnütz, aber immer mehr als nützlich ist, dass sie sich an Ergebnissen so wenig orientiert, wie sie zumeist von Erfahrung lebt. Die Formel taugt zu nicht mehr als zu einem Schibboleth für die Besitzstandswahrer in der öffentlichen Verwaltung, die mit ihr jedes Ersuchen um fiskalische Erleichterung oder Sparvorschläge bei den Staatsausgaben abschmettern. Allerdings fehlt es wirklich an einem Unterrichtsfach, das im Lehrkanon bisher nicht aufgeführt wird und das wie kein anderes die Verlegenheiten gegenwärtiger Pädagogik abbildet: Kann es eine allgemeine Anleitung in Herzensbildung geben? Was mit diesem altmodischen, gleichwohl hochaktuellen Wort gemeint ist? Robert Musil hat das Manko unserer Zeit beschrieben: „Jeder Fortschritt ist ein Gewinn im Einzelnen und eine Trennung im Ganzen.“* Wer also fasst zusammen, und was hält zusammen? Für das Leben und Überleben einer komplexen Gesellschaft sind das die entscheidenden Fragen. In einer solchen Disziplin ginge es vornehmlich darum zu verstehen, was ein Unterschied bedeutet: jene immer größere Ähnlichkeit bei noch so großer Unähnlichkeit, jene stets aufmerksame Wahrnehmung des Anderen bei scheinbar noch so großer Selbigkeit. Die Talente, die zu diesem Vermögen gehören, heißen Respekt, Urteilskraft, Großzügigkeit, Empfindsamkeit, Diskretion. Wer soll das lehren?

*Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Bd. 1, 154