Feuerstättenbeschau

Früher galten die Schornsteinfeger als Glücksbringer, ein symbolischer Wert, der sich allenfalls noch an den Festtagen gehalten hat, da man einander nur das Beste wünscht: zu Silvester gibt es den schwarzen Miniatur-Kaminkehrer in Vollmilchschokolade. Den Rauchfangfeger des einundzwanzigsten Jahrhunderts gilt es indes zu fürchten, auch wenn er sein Kehrmonopol aufgeben musste. Leiter und Stoßbesen bringt er nur noch gelegentlich mit. Sein scharfer Blick richtet sich auf die Verordnungen, die er genau kennt, die Überprüfungsregeln, das Landesbaurecht; und von dort auf den Zustand von Heizung und Kamin. „Alles in Ordnung“, sagt er. „Sie können von Glück reden.“ „Ist das die neue Form des Glücks: dass nichts zu beanstanden ist?“ fragt der Eigenheimbesitzer. „Nein. Das Glück bin ich. Ich hätte Ihnen die Anlage auch schließen können. Die Abgaswerte sind zwar innerhalb der Toleranz; aber ihre Dachstube entspricht nicht den Vorgaben, Ausstieg, Halterungen für die Leiter, die Laufroste; ich will das gar nicht alles aufzählen.“ Der Kunde widerspricht vorsichtshalber nicht. „Haben Sie schon mal einen gesehen, der sich am Dachbalken aufgehängt hat?“ setzt der schwarzgekleidete Meister das Gespräch fort. „So kommt es mir vor, wie wir mit unserem Leben umgehen. Wenn wir alle Verordnungen buchstabengetreu einhalten, die von der Politik verabschiedet werden, Immisionsschutz, Dämmwert, Rußzahl, Energiesparvorgaben, dann würden wir nicht mehr bauen und am Ende nicht mehr leben. Im Gesetzeswahn artikuliert sich die Selbstmordphantasie unserer Zeit. Beim Individuum heißt die Todesursache: Strangulierung. Bei der Gesellschaft: Regulierung. Viel Glück.“ Erleichtert verabschiedet der Hauseigner den Handwerker.