Frau Blaustrumpf kauft ein

Aus dem Tagebuch eines Marktverkäufers

Am späten Vormittag ist der Marktstand besonders voll. Männer mit zerknülltem Einkaufszettel, der Gemüseconnaisseur mit seiner jahrealten Jutetasche, die leise sprechende und schüchterne Alte, die stets mit ihrem Rollwagen die Wochenendwaren holen geht, die neugierige Touristin, die sich beglückt unters Stadtvolk mischt, und – Frau Blaustrumpf. Sie alle kaufen ein. Suchen nach dem erntefrischen Obst, den saftigen Aprikosen und prallen Süßkirschen aus dem Umland. Frau Blaustrumpf kommt jeden Samstag, immer um dieselbe Zeit, zwanzig nach elf. Sie wartet nicht, bis sie aufgerufen wird, ihre Bestellung aufzugeben. Da sie genau weiß, was sie will, hebt sie ihre Stimme, sobald der Verkäufer auffordernd in die Runde blickt, wortlos fragend, wer an der Reihe sei. Das ist sie nicht, aber es kümmert sie auch nicht, dass sie sich vordrängt. „Fünf Karotten“, ruft sie bestimmt, „nicht mehr als dreihundert Gramm.“ Der Händler greift in die Auslage, packt die Zahl der Möhren mit sicherem Gespür für das Gewicht und legt sie, zwei dickere, drei schmale, auf die Waage. „Dreihundertfünf?“, ruft er in das Stimmengewirr. „Weniger“, ist die knappe Antwort, „das ist mir zu teuer.“ Natürlich kennt er die Kundin und weiß, dass Widerspruch zwecklos wäre. Also ein kurzer Tausch: „Jetzt sind wir bei zweihundertsiebenundachtzig Gramm.“ „Sind die behandelt?“ Maliziös blickt der Verkäufer Frau Blaustrumpf an, er zögert einen unmerklichen Moment: „Noch nicht.“ Und fügt, bevor sie über seine doppelbödige Antwort länger nachdenken kann, rasch hinzu: „Haben Sie zudem einen Wunsch?“ „Nein“, sagt sie knapp. „Dann macht das fünfzig Cent“, bittet er. Sie hat aber noch etwas entdeckt. „Wenn nichts auf der Waage liegt, zeigt sie trotzdem 0,5 Gramm an“, mäkelt sie an der Genauigkeit des Instruments herum. Der Verkäufer verschluckt sich fast an einem Kirschkern, den er im Gaumen lutscht, und verliert sein leicht spöttisches Lächeln. „Dafür runde ich immer ab.“ Schweigend zählt sie die Münzen in der Hand und gibt ihm siebenundfünfzig Cent. „Ich habe zwei abgezogen.“ „Und ich hatte nur fünfzig verlangt“, meint er. „Lassen Sie uns genau sein, junger Mann“, ermahnt sie ihn mit ungewohnter Strenge. „Bei mir können Sie sich ihr charmantes Getue sparen. Ich kaufe nie mehr, als ich mir vornehme.“ Inzwischen ist das Gebrabbel rund um die Gemüsekisten deutlich zurückhaltender geworden. In die wachsende Ruhe spuckt er den Kirschkern aus, er will ihn unbemerkt auf den Boden fallen lassen und verschätzt sich. Der Obstrest landet versehentlich in der noch offen daliegenden Einkaufstasche von Frau Blaustrumpf. Sie erstarrt; er grinst. „Meine Zugabe“, kommentiert er. „Ich kann nicht anders, als großzügig zu sein.“ Und blickt in die amüsierte Runde: „Der Nächste, bitte.“