Geboten, verboten

In ihrem Verhältnis zum Handeln unterscheiden sich Staaten: Solange nicht vorgeschrieben wird, was zu tun sei, sondern nur, was zu unterlassen, lässt sich der Rechtsraum über das freie Wirken der Bürger bestimmen. In dem Maße, wie diese nicht nur formal, sondern auf den Inhalt ihres gesellschaftlichen Auftritts verpflichtet sind, verlieren sie viele Spielarten ihrer Willkür. In der Nähe des Verbots fühlt sich Freiheit wohler als in der Nachbarschaft des Gebots. Ein Staat, der beides nicht mehr kann – weder untersagen noch erlauben – hat seine institutionelle Kraft verausgabt. Gregor Gysi erzählt aus den letzten Tagen der DDR über den Umgang mit Regimekritikern, die verurteilt wurden, für eine gewisse Zeit in den Westen zu gehen, und als Strafe akzeptierten, was für die meisten die Erfüllung größter Sehnsüchte gewesen wäre. „Ein Staat hat zwei Möglichkeiten: er kann ein Verhalten unterbinden, oder er kann es erlauben. Wenn er beides nicht mehr kann, ohne sein Gesicht zu verlieren, dann ist er am Ende … Da untersagst du im Prinzip allen Bürgern das Recht auf Reisefreiheit – und diejenigen, die den Staat heftig kritisieren, werden mit einem Aufenthalt im Westen belegt!“*

* Gregor Gysi / Friedrich Schorlemmer, Was bleiben wird. Ein Gespräch über Herkunft und Zukunft, Berlin 2015, 197