Gedächtnislücke

Je älter ein Erinnerungsstück ist, das einem nach Jahren unbeachteter Mitexistenz unversehens in die Hände fällt, desto weniger mag es Anlass sein, sich einer lang vergangenen Situation zu entsinnen (seltsam präzises Wort: sich der Sinne entledigen). Aber ihm gelingt, sich an die Stelle der Erinnerung zu setzen, sie zu besetzen, ja zu ersetzen. Der schwarzweiße Photoabzug mit gezacktem Rahmen ruft einen Moment aus der Frühzeit des eigenen Lebens zwar nicht hervor, auch wenn man meint, mit Hilfe des Bildes eine Geschichte wachgerüttelt zu haben, die sich nun ganz genau wiederbeleben lässt. In Wahrheit ersetzt die belichtete Szene nur die fehlende Vorstellung; der Rest ist eigenmächtige Phantasie bis in die sinnlich wahrgenommenen Gerüche hinein, die zu diesem repräsentierten Milieu gehören könnten. Erinnerungsstücke erinnern oft nicht, aber sie füllen die Gedächtnislücke.