Gesund rauchen

In einem Brief an Sándor Ferenczi, den er am 6. November 1917 verfasst hatte, schrieb Freud über seine Nikotinsucht: „Gestern hatte ich meine letzte Zigarre verraucht, war seither böswillig und müde, bekam Herzklopfen und eine Steigerung der seit den schmalen Tagen bemerkbaren schmerzhaften Gaumenschwellung (Carzinom? etc.) Da brachte mir ein Patient 50 Zigarren, ich zündete eine an, wurde heiter, und die Gaumenaffektion ging rapid zurück! Ich hätte es nicht geglaubt, wenn es nicht so auffällig wäre. Ganz Groddeck.“ Georg Groddeck war der Wegbereiter der psychosomatischen Medizin; von ihm lieh sich der Vater der Psychoanalyse „das Es“. Er hatte sich Freud im Frühjahr 1917 bekannt gemacht, woraus eine lange Korrespondenz erwuchs. Und lieferte mit seiner Theorie des Einflusses der Seele auf körperliche Symptome sofort den fehlenden Baustein für eine Rationalisierung dessen, was Freud zutiefst zuwider war: dass es ihm, dem Meister der Ichdominanz und Erfinder des Strukturmodells der Psyche, nicht gelang, bei sich selbst die höchste Instanz herrschen zu lassen, den kritischen Verstand mit seinem Realitätsprinzip.* Dem erheiterten Leser solcher Verlegenheitsformen nachträglicher Rechtfertigung liefert dieser kleine Kunstgriff eine lebendige Anschauung, zu welch seltsamen Verrenkungen es führt, wenn der Geist sich einem Grundsatz absolut unterwirft, den er selber aufgestellt hat. Der Zwang zur vernünftigen Erklärung schwächt das Kriterium dessen, was alles vernünftig genannt wird.

* So schildert es der Wiener Internist und Hausarzt von Freud: Max Schur, Sigmund Freud. Leben und Sterben, 370f.