Ich will. Und du?

Aus dem noch ungeschriebenen Roman:

„Spricht etwas dagegen, dass ich dir sage, wie sehr ich dich liebe?“ Mit dieser plötzlichen Gesprächswende, einer gut inszenierten Überwältigung befreite er sich oft und lächelnd aus Situationen, die ihm unangenehm waren, bedrängenden Fragen, unpassenden Wünschen, lästigen Aufgaben, aus Ermahnungen, Pflichten, Erinnerungen. Sie ließ es sich gewöhnlich gefallen; es schmeichelte ihr vor allem der Ernst, mit dem er sein Geständnis vortrug, bei dem es in Wahrheit nichts zu gestehen gab, nichts Neues, und doch fasste sie jedes seiner Worte an, als hörte es sie zum ersten Mal.
Doch heute ließ sie ihm das nicht durchgehen. „Jahrelang hast du immer versucht, mich mit deinen sprachlichen Zärtlichkeiten zu besänftigen. Jahrelang hast du dich um die Entscheidung für mich gedrückt. Du liebst mich, ok. Aber du hast mich nie in dein Leben gelassen, mich nie wirklich gewollt.“
Er schaute erst erstaunt auf ob ihrer Antwort. Und dann, je weiter sie sich erklärte, desto mehr wich die Verwunderung einem tiefen Entsetzen. „Jetzt kann ich nicht mehr: Ich will dich zwar noch; aber ich liebe dich nicht mehr. Ist das nicht komisch?“ Sein Lächeln war längst gefroren. „So wie du mich immer geliebt hast, aber nie gewollt. Nur umgekehrt“, fügte sie noch leise an.
In seinem Kopf rasten die Gedanken. Was war plötzlich in sie gefahren? So plötzlich allerdings schien der neue Ton gar nicht zu sein, zumindest für sie nicht. Eher kam ihm vor, je klarer er wieder sah, dass sich da über lange Zeit etwas aufgestaut hatte. Nur was?
In sein Rätseln hinein murmelte er verlegen: „Ti voglio bene.
„Was sagst du da?“
Er hatte die italienische Formel für das Liebesgeständnis gewählt. „Ti voglio bene heißt: ich liebe dich, allerdings wörtlich: ich will dir gut. Will! Wollen! Wenn ich dir das Schönste sage, was Menschen einander sagen können, dann ist da für mich stets das große ,Ich will‘ dabei. Verstehst du?“
Te quiero“, erwiderte sie erschöpft. „Ich weiß nicht genau, ob das stimmt. Hab das irgendwo gehört. Ist spanisch und meint wohl auch: ich will dich. Eigenartig …“
„Aber dann könnten wir …“, unterbrach er sie.
„Nein“, erwiderte sie entschieden, ohne ihn weiter zu Wort kommen zu lassen. „Früher hat man geglaubt, dass der Wille in einer Verbindung genüge; die Liebe werde sich dann schon einstellen. Später meinte man, und da scheinst du noch hinzugehören, die Liebe reiche in einer Beziehung aus; der Wille werde schon folgen. Mir wäre das zu wenig: Du kannst nicht nur die Liebe wollen oder den Willen lieben. Du musst auch den wollen, den du liebst.“
„Aber ich will dich doch“, stammelte er.
„Aber ich liebe dich nicht mehr“, antwortete sie zermürbt.