Isolation

Die Insellage, mit der bei Reisen und in Immobilienportalen in heiteren Zeiten als Attraktion geworben wird, hat sich zur gefürchteten Perspektive gewandelt. Isolation, vom lateinischen insula abgeleitet, beschränkt die Vorstellung einer Existenz unter Voraussetzungen der Abgeschiedenheit auf deren hässliche Aspekte: das Alleinsein, die Einsamkeit, den Verlust von Nähe. Insulae, das waren im alten Rom die ersten Hochhäuserblocks, mehrstöckige Gebäude, meist rechtwinklig angeordnet, die wegen der Wohnungsnot innerhalb der Stadtmauern von den Architekten geplant und zur Miete vergeben wurden. So hatten die selbstgestalteten insulae nichts von jener prospektglänzenden Idylle, mit der Fernziele verlockend angepriesen werden. Anders als auf den Eilanden im Meer richtete sich der Blick in den insulae nicht gen Horizont, sondern vertikal aus, nach oben und unten, weil rechts und links nicht genügend Platz war. Sie sind das, nicht nur sprachliche Vorbild der Isolation. Orte, von denen aus das Sehen, die erste Form der Kontaktaufnahme mit anderen, höchst eingeschränkt war. Ob solche Insellagen, ob die Distanzierung von Menschen untereinander angenommen wird, ja gar als Entfaltungsform des Menschlichen betrachtet werden kann, hängt weniger an der Art des Lebens, abgeschottet zu sein, als vielmehr an einer geistigen Variante des Sehens, der Perspektive, die mit der Klausur, selbstgewählt oder verordnet, verbunden ist und zu der elementar gehört zu wissen, wie lang sie dauert. Gerade weil wir in einer und als Gesellschaft nicht isoliert nebeneinander leben, gelingt Isolation nicht allein, wenn wir verstehen, was geschieht, sondern erst dann, wenn wir uns darüber gemeinsam verständigen können.