Komm mir bloß nicht zu nah

Künste wie die Architektur oder die Rhetorik, die seit alters das Verhältnis von Nähe und Distanz austarieren, stehen in einer Welt, die sich einübt in lebensverträgliche Arten des Abstands, vor der Aufgabe, neue Spielräume zu definieren, im Bau wie in der Rede. Wie müssen Plätze gestaltet, Stadien konstruiert, Kaufhäuser, Kirchen, Konzertsäle geplant und Parks oder Innenstädte angelegt werden, in denen das aufgekommene Unbehagen an der Unmittelbarkeit in anmutige Formen übertragen ist, so dass Menschen sich versammeln können, ohne gleich eine Menschenansammlung bilden zu müssen? Die Sprache wiederum kennt sich bestens aus mit dem Feinsinn von Unterscheidung und Berührung, Weite und Beziehung, an dem sie ihre Wirkkraft entfaltet und von dem sie ihre Erfindungsgabe fordern lässt. Denn sie weiß, was im Sozialen ein offenes Geheimnis darstellt und oft dennoch in Vergessenheit gerät: dass Distanz nicht das Gegenteil von Nähe darstellt, sondern deren Voraussetzung. Was ließe sich für die gewinnende Rede, die anzieht und einnimmt, folgern, wenn sie nicht mehr auf die Masse zielt, obwohl sie eine Mehrheit erreichen will? Es sind, hier wie dort, schönste Aspekte souveräner Individualität denkbar.