Kompromittierter Kompromiss

Jene Form der Einigung, die als Kompromiss zu demokratischen Ehren gekommen ist, erlöst nicht von Konflikten und löst sie auch nicht, sondern bildet den Grund für den nächsten Streit. Es gehört zu den verlogensten Ritualen des Politikbetriebs, mit glücklichen Gesichtern einen Durchbruch in Verhandlungen zu feiern, der auf einem Kompromiss ruht. Er ist die Geste der Machtlosigkeit Mächtiger, das Eingeständnis, dass es in einem Wettbewerb der Ideen keinen Sieger, aber zwei Niedergeschlagene gibt, die entschiedene Unentschiedenheit, das Ja zum Jein. Nicht der Kompromiss als Meinungsmischung befriedet die Auseinandersetzung zwischen zwei Positionen, allenfalls die Einigung auf eine dritte, neue Haltung, die ein höheres Niveau hat als jede der beiden streitbaren. Das aber verlangt eine Intelligenz, die frei ist von persönlichen Motiven.