Moralpredigt

Wie schnell ist das Urteil parat, dass einer, der mit hohem Anspruch öffentlich auftritt, seine Worte durch die Art, wie er lebt, widerlege. „Da ergibt sich, dass Moral-Predigen leicht“ sei, befand schon Schopenhauer, und ergänzte, dass „Moral-Begründen schwer ist“.* Viel schwieriger noch scheint indes zu sein, Moral zu leben, jene nämlich, für die man coram publico einsteht. Ausgerechnet der hat gut reden, heißt es dann mit erhobenem Verweis auf seine Taten. Macht das aber falsch, was einer sagt? Das Leben taugt nicht als Nachweis, ja Beglaubigung der edlen Absichten und Einsichten. Denn nie ist es Resultat, immer aber eine Aufgabe. Sie liegt stets vor uns, so dass die Anstrengung gewürdigt werden mag, mit dem Zwiespalt, seinen Widersprüchen und Streitigkeiten sinnreich umzugehen. Zum Maßstab allerdings für das, was im Tun als wahr gelten mag, reicht das Leben nicht. Eine Moral, die etwas auf sich hält, kann im Ernst nur verstanden werden als Einspruch und Eingriff in den status quo.

Über den Willen in der Natur, Werke III, 472. – Schopenhauer hat diesen Satz dann auch als Motto seiner Preisschrift „über die Grundlage der Moral“ vorangestellt, in der er die Tat zum harten „Probierstein aller unserer Überzeugungen erklärt“. – aaO. 769.