Niveaufrage

Vor jeder Versöhnung steht die Verführung. Sie muss stark genug sein, anderes attraktiver zu finden als die eigene Position, und darf nicht so dominant sein, dass der Verdacht entstehen könnte, es ginge ihr nur darum, das Eigene zu bewerben. Versöhnung findet sich selten im Kompromiss, viel eher auf einem neuen Niveau, das die ursprünglich verhärteten Standpunkte überbietet. Im tiefsten ist die Verführung das Talent, die Brüche hier wie dort zum Anlass zu nehmen, sich auf Größeres und Wesentlicheres einzulassen. „Wir verführen durch unsere Zerbrechlichkeit, niemals durch unsere Fähigkeiten oder durch starke Zeichen“, sagt Jean Baudrillard.* Und schaffen so den festen Grund der Versöhnung, der es gelingt, Schwäche und deren Eingeständnis in die Voraussetzung zu verwandeln, kraftvoll zu sein.

* Von der Verführung, 95